Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
werden,
darüber war sie sich im Klaren. Und auf einmal überkam sie Angst
vor der eigenen Courage. Es war etwas ganz anderes, fremde
Drogenabhängige im Krankenhaus zu betreuen, als hier zuzusehen,
wie der beste Freund vor Schmerzen beinahe verreckte.
Angespannt ging
sie zum Fenster und blickte in den Himmel. Die Sonne ging gerade
unter und tauchte den Himmel hinter den Bergen in ein
rotglühendes Feuermeer. Sie beobachtete das Schauspiel und
dachte dabei an Michael.
Wo bist du
jetzt, Michael…? Du könntest ihm so viel besser helfen als
ich. Bitte gib mir die Kraft, das durchzustehen und ihm nicht
das zu geben, wonach er verlangt.
Eine tiefe
Sehnsucht stahl sich in ihr Herz, als sie auf eine Antwort
wartete, von der sie doch wusste, dass sie nicht kommen würde.
Traurig stellte sie die Tasse aufs Tablett, füllte eine Schüssel
mit kaltem Wasser. Danach nahm sie ein sauberes Handtuch aus dem
Schrank und ging den Flur zum Gästezimmer entlang.
****
Und dann begannen
die wahrscheinlich längsten 48 Stunden in Roberts Leben. Er
schrie nach seinen Drogen und gleichzeitig erschütterten die
Krämpfe seine Eingeweide. Sein Körper versuchte sich zu wehren
und sandte Fieberschübe aus, die ihn laut aufschreien ließen.
Hochrot im Gesicht riss er sich sein Hemd vom Leib und Amy
versuchte seinen überhitzten Körper mit kalten Tüchern zu
kühlen. Die Kraftbrühe, die sie ihm mit dem Löffel vorsichtig
einflößte, erbrach er sofort wieder im hohen Bogen.
Er krümmte sich
unter erneuten Krämpfen zusammen und stieß dabei immer wieder
gegen das Mettallgestell des Bettes. Verzweifelt setzte Amy sich
schließlich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihn und versuchte seine
zuckenden Arme festzuhalten. Dabei liefen ihr unaufhörlich die
Tränen übers Gesicht. Sie litt mit ihm und wünschte sich
verzweifelt irgendetwas zu haben, was seine Schmerzen lindern
konnte.
Irgendwann, spät
in der Nacht, schaffte sie es endlich, ihm ein bisschen Tee
löffelweise in seine halbgeöffneten Lippen zu träufeln.
Diesmal
rebellierte sein Magen nicht dagegen an und kurz darauf fiel
Robert in einen unruhigen Schlaf. Erleichtert und völlig
erschöpft sank Amy in den Schaukelstuhl, der in der Ecke stand
und merkte, wie sie selber am ganzen Körper bebte. Ihre Augen
waren vom vielen Weinen fast zugeschwollen und sie fühlte eine
tiefe und bleierne Müdigkeit in sich. Trotzdem ließ sie keinen
Blick von Roberts ausgemergelter Gestalt und gestattete sich
nicht zu schlafen. Zu groß war ihre Angst, dass er sich etwas
antun würde oder etwas anderes passierte, während sie schlief.
Ihr Instinkt
bewahrheitet sich, denn kurz danach bäumte sich sein Körper
unter erneuten Krämpfen auf und der Schrei, den er jetzt
ausstieß, war nicht mehr menschlich. Er klang wie der Laut eines
elendig verendeten Tieres in Todesahnung. Und dann schoss sein
Oberkörper unvermittelt vor. Mit einem einzigen, riesigen Satz
sprang er aus dem Bett und presste Amy die Kehle zu. Vollkommen
entgeistert starrte sie den Freund an, unfähig sich zu bewegen.
Sterne tanzten vor ihren Augen und sie merkte immer mehr, wie er
ihr langsam die Luft wegdrückte.
»Gib mir endlich
meine Tabletten, wo sind sie… wo…?«, schrie Robert hasserfüllt
und starrte sie aus wahnsinnigen Augen an.
Amy fühlte, wie
ihre Sinne schwanden. Langsam wurde ihr schwarz vor den Augen
und sie spürte, dass sie schon zu schwach war, ihn abzuwehren.
Hilflos sackte sie in sich zusammen. Aber plötzlich spürte sie
etwas in ihren Körper. Eine fremde Macht bewegte ihren rechten
Arm und hob ihn hoch. Dann sah sie erstaunt, wie sich ihr Daumen
und Zeigefinger bog und mit einer immensen Kraft die Schläfen
von Robert zusammendrückten. Dieser schrie gepeinigt auf und
fiel ohnmächtig zu Boden.
Atemlos fasste Amy
sich an den Hals und holte röchelnd Luft. Danach sah sie sich
schwankend im Zimmer um.
»Michael, bist du
hier? Bitte zeig dich… lass mich nicht wieder alleine… bitte.«
Doch keine
Bewegung und kein Laut waren im Zimmer zu hören. Trotzdem war
sich Amy hundertprozentig sicher, dass es Michaels Kraft gewesen
war, die ihren Arm gelenkt und sie damit vor dem sicheren
Ersticken bewahrt hatte. Unbewusst glitt ihr Blick aus dem
Fenster und dann sah sie ihn - den Stern, der am hellsten
leuchtete und jetzt unvermittelt in einem kometenhaften Glanz
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