Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
lud zum Träumen ein. Doch
plötzlich lichtete sich der Pinienwald und gab den Blick auf
unzählige Polizisten und Einsatzkräfte frei. Dann traten vier
Männer vor, die einen verzinkten Sarg unter scheinbar großer
Anstrengung zu dem bereitstehenden Leichenwagen trugen. Rachel
strich sich beunruhigt die Haare aus dem Gesicht.
Auch sie beschlich jetzt so langsam ein Gefühl der
undefinierten Angst. Sie drehte sich wieder zum Tisch um und sah
zu Emily hinüber.
»Sag mal, sind gestern die Überreste der zerfetzten
Waldleiche eigentlich zu euch in die Pathologie gekommen oder
ins Merediths-Krankenhaus?«
Emily starrte sie erbost an. Jetzt hatte sie es
geschafft und ihr war endgültig der Appetit vergangen.
Angewidert schob sie ihren Teller weg.
»Rachel, warum machst du das immer? Wenn du meine Pizza
essen willst, dann sag es und ich gebe sie dir. Es war nicht
nötig mir auf diese Weise den Appetit zu verderben.«
Überrascht blickte jetzt auch Amy auf. Eben noch hatte
sie ein bisschen vor sich hin geträumt und dabei ihren geliebten
Cappuccino genossen. Da sie nicht jeden Tag die Zeitung las und
auch kaum die Nachrichten im Fernsehen verfolgte, bekam sie
manche Sachen gar nicht mit. Schließlich seufzte Emily leicht
auf und nickte dann bestätigend.
»Ja, auch die mittlerweile vierte dieser so
zugerichteten Leichen ist zu uns in die Pathologie geschickt
worden.« Rachel sah den fragenden Ausdruck auf Amys Gesicht und
begann die Freundin aufzuklären. »Die Sache geht jetzt schon
seit etwas mehr, als einem halben Jahr. Entweder sind die
Menschen spurlos verschwunden, oder so wie jetzt findet die
Polizei einen völlig zerfetzten und grausam zerbissenen
Leichnam. Oder vielmehr das, was davon noch übergeblieben ist.
Immer hier, immer in der Nähe der umliegenden Wälder.
Die Leute befürchten, dass sich vielleicht ein
Grizzlybär in diese Gegend verirrt hat. Normalerweise ist ihr
Lebensraum ja weiter oben in den Bergen, aber man weiß ja nie.
Ein anderes Tier wäre wohl kaum in der Lage einen
großen und ausgewachsenen Menschenkörper so derart zu
zerfleischen.«
Emily zuckte bei der wie immer unverblümten Wortwahl
ihrer Freundin leicht zusammen.
»Stellt sich nur die Frage, -fuhr Rachel fort-, warum
sich die Menschen in der Dunkelheit überhaupt in diesen
abgelegenen Waldgebieten aufgehalten haben. Und komisch ist
auch, dass es immer nur einmal im Monat passiert.
Ungefähr alle vier Wochen verschwindet jemand. Männer
oder Frauen, jeden Alters. Alle waren sie von hier, aus den
umliegenden Städten.« Amy schüttelte leicht den Kopf.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Tier so etwas
macht. Das ist nicht logisch. Denkt doch mal nach, woher sollte
ein Bär denn wissen, dass exakt jetzt die vier Wochen um sind
und er wieder Beute machen muss. Vielleicht ist es ein
vollkommen irrer Psychopath, der nach irgendeinem Schema vorgeht
oder der ein bestimmtes Ritual vollziehen will.« Rachel sah sie
stirnrunzelnd an.
»Wenn das wahr ist, dann müssen wir noch besser auf uns
aufpassen. Ich für meinen Teil bevorzuge dann noch lieber von
einem Bären angefallen zu werden, als von einem völlig
durchgeknalltem und verrücktem Menschen.«
Sie reckte sich und stand dann langsam auf.
»Kommt Mädels, lasst uns gehen, die letzten
Arbeitsstunden beginnen gleich.«
»Ja, und dann haben wir endlich seit langen unser
erstes freies Wochenende«, Emily strahlte nach ihrer Aussage
glücklich über das ganze Gesicht. Endlich achtundvierzig Stunden
einmal keine Leichen mehr sehen.
Auch Amy freute sich auf ihr erstes freies Wochenende
seit Monaten. Gestern hatte sie einen Anruf von der Hope Klinik,
im Navajo National Resort erhalten.
Oberschwester Kiara hatte sie über die Dienstpläne der
nächsten Woche informiert. Zum Schluss hakte sie noch einmal bei
ihr nach und fragte, ob sie sich ihrer Sache auch wirklich ganz
sicher sei. Denn das bedeutete, dass sie ihre gesamten freien
Tage opferte, um ehrenamtlich und ganz ohne Lohn in der Klinik
mitzuarbeiten.
»Ja«, hatte ihr Amy daraufhin voller Hingabe erwidert.
»Das möchte ich immer noch und ich freue mich sehr auf
diese Aufgabe.«
In dieser Nacht überkamen sie wieder die Visionen.
Abermals sah sie die eisblauen, schimmernden Augen.
In einem warmen, milchigen Licht erkannte sie die
schemenhaften Umrisse seines Gesichtes. Er warnte sie erneut und
Weitere Kostenlose Bücher