Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
neben dem Krankenbett
heruntergefallen und schlug jetzt bei jedem weiteren Zucken, mit
dem Kopf gegen das eiserne Bettgestell.
Amy kniete sich über sie, versuchte fieberhaft den Kopf
zu fixieren und so ruhigzustellen. Kathrin kam wieder rein und
reichte ihr leicht zitternd die Flasche mit den Tropfen.
In diesem Moment biss sich die Patientin auf die eigene
Zunge, was sofort zu einer sehr heftigen Blutung führte.
Instinktiv riss sie ein kleines und sauberes
Baumwolltuch aus dem nebenstehenden Schrank, rollte es zusammen
und schob es als Barriere zwischen Ober- und Unterkiefer.
So war die Gefahr erst einmal gebannt, das sie sich die
eigene Zunge durchbiss. Danach versuchte sie die Blutung zu
stoppen.
Vorsichtig öffnete sie den Mund noch ein bisschen
weiter und gab die Tropfen direkt in die Wangentasche. Amy hielt
den Kopf weiterhin fest umklammert und wartete auf die
krampflösende Wirkung. Tatsächlich entspannte sich der
verkrümmte Körper kurz darauf und wurde etwas ruhiger. Der
Pulsschlag verlangsamte sich und ganz allmählich ließen die
Zuckungen nach. Vorsichtig hoben sie zu zweit den nun
erschlafften Körper auf und legten die Patientin aufs Bett.
Behutsam zog Amy der alten Frau das Nachthemd aus und begann sie
zu waschen. Zart strich sie ihr dabei die verschwitzten und
zerzausten, weißen Locken aus dem Gesicht.
Zu Kathrin gewandt, murmelte sie leise:
»In der indianischen Welt werden diese Menschen schon
immer zutiefst verehrt. Sie gelten als Heilige. Als Auserwählte,
zu denen Gott spricht. Während der Krampfanfälle können sie ihn
sehen und er redet mit ihnen, sagt man.«
Die Lernschwester sah sie erstaunt von der Seite an.
»Und diesen alten, vertrottelten Aberglauben schenken
sie als Assistenzärztin Beachtung?
Ich halte diese Legenden über die magischen Geister
oder die mystischen Welten der Indianer für absolut
schwachsinnig. Wie können sie nur in unserer heutigen, modernen
Zeit noch an solche Ammenmärchen glauben?«
Amy blickte sie an und antwortete mit immer noch leiser
Stimme.
»Kathrin, es gibt so viele Dinge auf der Welt, wie die
Liebe zum Beispiel, die kann man mit dem Verstand alleine nicht
begreifen. Manches kann man nur mit dem Herzen fühlen.«
Sanft strich sie der Patientin noch einmal über das
Haar und verließ dann leise das Krankenzimmer.
Ihre Mittagspause verbrachte sie zusammen mit Rachel
und Emily in der nahe gelegenen Pizzeria Fratelli.
Nachdem sie unzählige Pizzarestaurants ausprobiert
hatten, befanden sie dass es dort die beste Steinofenpizza von
ganz Flagstaff gab. Emily sah, wie eigentlich immer in den
vergangenen Tagen, ein wenig blass aus. Sie musste die nächsten
drei Monate in der Pathologie arbeiten, hatte jetzt die erste
Woche hinter sich gebracht und fühlte sich mit jedem weiteren
Tag dort immer unwohler.
»Emily, sagte Rachel, - wie immer kein Blatt vor den
Mund nehmend -, wovor in Himmels Willen hast du nur solche
Angst? Keiner der auf deinem Tisch liegt wird dir noch eine
Unterhaltung aufzwingen. Sie sind alle schon tot, weißt du.«
Amy boxte ihr in die Rippen und guckte ihre Freundin
dabei entrüstet an.
»Hast du hinter deiner hübschen Fassade eigentlich nur
noch gähnende Leere oder gibt es dahinter vielleicht doch noch
so etwas was sich Feinfühligkeit nennt? Du weißt sehr wohl, dass
sich Emily auf Kinderheilkunde spezialisieren will.
Die Ausbildung in der Pathologie gehört zwar zu unserem
Arztstudium dazu, ist aber beileibe nicht jedermanns
Lieblingssemester. Meines war es übrigens auch nicht.«
Emily nickte ihr, dankbar für die Unterstützung zu.
Aber Rachel zuckte nur mit den Schultern.
Entschuldigend tätschelte sie dann aber doch Emilys
Hand.
»Tut mir leid Süße, du weißt ich habe es nicht so
gemeint. Wann wirst du endlich meine Art dich aufzuheitern
verstehen?« Emily streckte ihr die Zunge raus.
»Nicht in diesem Leben und auch nicht im Übernächsten.«
»Dann eben nicht.« Sie winkte der Kellnerin zu, um sich noch
eine Coke zu bestellen und dabei glitt ihr Blick zu dem
Fernseher der an der Decke befestigt war. Der Ton war
ausgestellt und so betrachtete sie nur leicht gelangweilt die
Bilder. Was sie anfangs für eine Reportage gehalten hatte, waren
jedoch die zusammengefassten Nachrichten des gestrigen Tages.
Das idyllische Waldgebiet von Kachina Village leuchtete
in der untergehenden Sonne auf und
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