Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
schloss für
einen kurzen Moment die Augen, um den Tag noch einmal Revue
passieren zu lassen. Sie mochte Professor Wilson. Er wirkte auf
sie ein bisschen wie ein väterlicher Freund und er verstand
seine Arbeit, denn er besaß ein untrügliches Gefühl auf die
Patienten einzugehen.
Auf einmal und unvermittelt überkam sie eine heftige
Vision der Angst.
Urplötzlich spürte sie eine Welle des nicht Fassbaren
und eine übergroße Beklemmung.
Ihr fielen wieder ihre Träume ein aber so etwas
zutiefst Böses, eine nicht zu fassende Welle der Furcht, das
hatte sie niemals zuvor in ihren Visionen vorhergesehen.
Sie konnte es nicht einordnen und erschauerte.
Hastig öffnete sie die Augen.
Regungslos stand er da und beobachtete sie.
Es war kein gucken, nein es war ein Anstarren. Ein
Fixieren aus den kältesten Augen die sie je zuvor gesehen hatte.
Keinerlei Leben war in ihnen, kein Leuchten und auch keine
menschliche Regung. Nur das absolut Böse starrte ihr entgegen.
Augen, die so dunkel und nachtschwarz wie Kohle waren.
Zutiefst erschrocken sprang sie auf die Füße und hörte
sich selber wie aus weiter Ferne sprechen.
»Entschuldigung, ich habe gar nicht gehört, dass sie
hier reingekommen sind.«
»Hallo, - er starrte sie weiter unverwandt an -, ich
glaube wir haben uns noch nicht kennen gelernt.«
Die Art seines Sprechens, der absolut monotone und
emotionslose Klang seiner Stimme, war genauso kalt wie seine
Augen. Amy lief ein Schauer über den Rücken.
»Nein«, hörte sie sich sagen. »Wir sind uns hier im
Krankenhaus noch nicht begegnet.« Er fixierte sie weiterhin.
»Darf ich mich vorstellen, ich bin Doktor Blake Atcitty
und ich bin der stellvertretender Leiter der Chirurgie hier im
Flagstaff Medical Center.«
Schleichend kam er auf sie zu und Amy wich
unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Ich habe meinen Jahresurlaub gehabt und meine Familie
besucht.
Ich habe eine sehr große Familie, müssen sie wissen«,
lachte er hintergründig. Jetzt stand er unmittelbar vor ihr.
»Darum lernen wir uns also jetzt erst kennen. Sagen sie mir, mit
wem ich diese entzückende Ehre habe?«
Er beugte sich noch näher zu ihr und Amy wiederstand
dem Drang noch weiter nach hinten zurück zu weichen.
»Mein Name ist Amy Mallone, angehende Assistenzärztin
im ersten Jahr«, sagte sie mit leicht zitternder Stimme und
hoffte dabei inständig, dass er ihr nicht die Hand zur Begrüßung
geben würde.
»Sehr, sehr interessant, -erwiderte er, -ich freue mich
immer wieder über unsere Neuzugänge.
Frischfleisch, wie ich es nenne«, makaber lachte er auf
und Amy zuckte entsetzt zusammen und bezwang den Drang ihn weg
zustoßen um aus der Tür zu rennen. Stattdessen versuchte sie ihr
lautpochendes Herz zu beruhigen. »Es freut mich sehr sie kennen
zu lernen, Doktor Atcitty. Aber jetzt muss ich zurück auf die
Station. Professor Wilson wartet sicher schon auf mich, meine
Pause ist jetzt zu Ende.«
Fast starr und ohne zu antworten stand er vor ihr.
Groß von der Statur, dunkelblond, der Körper eher eckig
als muskulös und mit kantigen, kalten und wie aus Granit
gemeißelten Gesichtszügen. Nichts, absolut nichts an ihm
strahlte auch nur im Ansatz eine Art Wärme aus. Seine Lippen
waren nicht mehr als ein Strich in seinem unterkühlten Gesicht.
Sie begann zu frösteln.
»Schade«, sagte er und fixierte dabei ihren Oberkörper.
»Aber wir werden ab jetzt sicherlich noch oft miteinander zu tun
haben. Wir werden uns wiedersehen.«
Es klang wie eine Drohung.
»Ja, ja das wäre schön«, -hörte Amy sich sagen, -und
rannte dann beinahe aus dem Zimmer.
Professor Wilson machte wie jeden Tag seinen
morgendlichen Rundgang zur Visite. Im Schlepptau sieben der
angehenden neuen Assistenzärzte.
Alle zusammen betraten sie das erste Krankenzimmer und
blieben vor dem Bett einer Frau mittleren Alters stehen.
Der Professor blickte die vor ihm Stehenden an und
stellte dann die altbekannte, morgendliche Frage: »So meine
Damen und Herren, wer möchte mir heute Morgen zuerst, eine
zutreffende Diagnose zu diesem Fall geben?
Die Patientin ist 39 Jahre und hat folgende Symptome:
Schmerzen im Bereich des Bauchnabels, im rechten Unterbauch, mit
Fieber, Übelkeit und erbrechen.«
Robert Drake kam wie immer als erstes selbstbewusst aus
der Gruppe hervor und begann mit den Standarduntersuchungen.
Nicht einmal fünf Minuten später
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