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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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langen Bartresen noch einen Gin Sling, vielmehr war alles nüchtern und funktionell, wie in den meisten Bars in Australien. Es herrschte kaum Betrieb, und Lily hatte keine Bedenken als einzige Frau in der Bar. Sie bestellte sich ein Glas Weißwein und sah sich ein wenig um. An den Wänden hingen großformatige, gerahmte Fotografien. Sie zeigten das alte Broome – an dem langen Anleger vertäute Logger, bei Ebbe mit dem Rumpf im Schlick liegende Boote, japanische Taucher in unförmigen Taucheranzügen, den stählernen Helm unter dem Arm, asiatische Arbeiter neben riesigen Muschelhaufen beim Sortieren und Aufbrechen der Schalen.
    Lily hätte liebend gern teilgehabt an jener aufregenden Ära und wünschte, das Flugzeug hätte sie in das Broome des frühen 19. Jahrhunderts gebracht. Obwohl sie noch nichts von dem Ort gesehen hatte, war es für sie ein bewegendes Gefühl, einfach hier zu sein, und sie hoffte inständig, daß ihre Erwartungen nicht enttäuscht würden. Was, wenn die Vergangenheit ausradiert war und ihre persönlichen Nachforschungen in einer Sackgasse endeten?
    Ein sonnengegerbtes, grauhaariges Männchen in einem verwaschenen T-Shirt mit einem handfesten Trinkspruch darauf schwang sich auf seinem Barhocker herum und sprach Lily an. »Das waren noch Zeiten, Mädchen. In den Zwanzigern ging es ganz schön rund hier in der Stadt.«
    Lily nahm die Anrede ›Mädchen‹ amüsiert zur Kenntnis. Förmlichkeiten waren in Broome offenbar nicht üblich. »Ich wette, Sie sind ein Einheimischer«, gurrte sie.
    »Na ja, könnte man so sagen«. Das Gesicht des Mannes legte sich in Hunderte von Fältchen, als er sie anlächelte.
    »Leben Sie schon lange hier?« Lily ging zwischen den unbesetzten Tischen und Stühlen in billigem Tudorstil zur Bar und setzte sich zu dem Mann.
    »Eigentlich schon viel zu lange. Man sagt hier, jeder kommt für ein oder zwei Jahre nach Broome und bleibt dann hängen. Ich wollte immer weiterziehen, wenn ich genug Kohle gemacht hab. Hab ich aber nie gemacht. Vor ein paar Jahren bin ich dann in ein Altenheim nach Perth gezogen. Hab's nicht ausgehalten da. Leb lieber in 'ner bescheidenen Hütte hier. Sie wollen also Urlaub bei uns machen?«
    »So ähnlich. Ich will mich ein bißchen kundig machen über die alten Zeiten, die alteingesessenen Familien.«
    »Was Sie nicht sagen!« Der Mann war ehrlich überrascht. »Wozu das denn?«
    Lily nahm einen Schluck Wein, um sich Zeit mit der Antwort zu lassen. »Vielleicht schreibe ich was darüber. Oder entdecke einen Stammbaum.«
    »In dieser Gegend hat wohl jeder ein oder zwei Leichen im Keller«, meinte der Mann mit einem fröhlichen Zwinkern. »Und wo wollen Sie anfangen?«
    »Ich weiß noch nicht. Was würden Sie vorschlagen?«
    »Am besten gehen Sie ins hysterische Museum. Gleich die Straße runter. War selber noch nie da.«
    Lily mußte lachen. »Ist das Historische Museum groß?«
    »Im alten Zollhaus. Nur 'n kleiner Laden, aber vielleicht werden Sie da ja fündig. Sonst gibt's nix hier.« Der Mann leerte sein Glas und sah Lily erwartungsvoll an.
    Sie verstand den Wink und bestellte eine Runde. »Ich bin Lily Barton.«
    Sie gaben sich die Hände.
    »Clancy. Na ja, eigentlich heiße ich Howard. Aber ich liebe Gedichte. Deswegen der Spitzname.«
    »Ach, Sie lesen Lyrik?«
    »Manchmal.« Er zuckte die Achseln und fuhr dann voller Selbstüberzeugung fort. »Das , das ich schreibe, ist besser.«
    Lily wollte vermeiden, daß er ihr eine Kostprobe seines Könnens verabreichte, und lenkte schnell ab. »Sagen Sie, gibt es hier noch ›alte Hasen‹, mit denen ich reden könnte? Taucher oder jemand aus den alten Familien?«
    »Genüge ich Ihnen nicht?« feixte Clancy. »Hören Sie, es gibt noch alte Familien hier, aber die bleiben eher unter sich. Geschlossene Gesellschaft. Aber Mrs. Fong könnte ihnen was erzählen, ihr Mann war Perlentaucher. Als sie noch jung war, hat sie für die reichen weißen Damen geputzt. Die Fongs sind heute ganz gut im Geschäft. Und die Perlenarbeiter hier sind alle ziemlich neu. Aber es kommt vor allem drauf an, was Sie eigentlich suchen.«
    Lily kramte in ihrer Handtasche nach dem Foto von dem Mann in der weißen Marineuniform und reichte es Clancy. Der Barkeeper und die anderen Gäste rückten näher. »Er ist ein Teil meiner Vergangenheit, ich weiß aber überhaupt nichts über ihn.«
    Die Männer betrachteten das Foto eingehend.
    »Eins ist sicher, der Premierminister ist es nicht«, stellte Clancy mit einem

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