Tränen des Mondes
befestigte ein Stück Fleisch am Angelhaken, warf dann die Schnur in weitem Bogen wieder aus und sah aufmerksam zu, wie der Köder aufs Wasser schlug.
»Gibt es hier viele Fische?« Eine Plastiktüte trieb vorbei.
»Fisch ist da. Aber nicht so gut.«
»Was für Fisch denn?«
»Welse. Manchmal Barben. War mal guter Fisch. Jetzt zuviel Müll.«
»Lebst du schon lange hier?«
»Alle meine Familie hier gearbeitet.«
»Was hast du gemacht?«
»Waschen und putzen.« Auf dem Gesicht der Frau zeigte sich ein zahnloses Lächeln. »Ich für weiße Damen gearbeitet. Meine Urgroßmutter, Großmutter und meine Mutter, alle für selbe Leute. Zu alt jetzt für Arbeit.«
Die alte Frau hatte schwielige Hände wie ein Mann. An ihren dünnen Beinen traten die Venen in Knoten hervor, ihr Körper war massig und schwer, und der Strohhut auf ihrem Kopf verbarg ihr schütteres weißes Haar.
»Ich heiße Lily.« Sie hockte sich neben die Frau in den Sand.
»Ich bin Biddy. Da hinten das kleine Haus is mir.« Sie wies mit dem Kopf kurz über ihre Schulter. »Die da gehören auch zu mir.« Noch ein Wink mit dem Kopf in Richtung der alten Schuppen, in deren Schatten Lily ein halbes Dutzend Männer lungern sah. Der Berg leerer Bierdosen und das silbrige Glitzern von leeren Weinflaschen kündeten von wochenlangem Trinken.
»Faule Kerle, die«, fuhr die Frau fort. »Früher Männer hart gearbeitet. Viel Arbeit damals.«
»Erzähl mir von früher, Biddy. Wie war es damals.«
Biddy prüfte die Angelschnur, die sie um den Finger gewickelt hielt, dann rückte sie sich zurecht und begann in Erinnerungen zu schwelgen. Sie kramte bunte Geschichten und Anekdoten aus ihrem Gedächtnis hervor, die sie mit gackerndem Lachen und Glucksen garnierte. Sie erzählte von großen Häusern mit prächtigen Möbeln. »Gab auch Stühle und was nicht alles mit Perlen und Gold dran.« Sie beschrieb die kunstvoll bestickten und verzierten Kleider der Frauen, die Uniformen der Männer, die großen Feste und Partys.
»Ich viel gewaschen! Herrje! Master weiße Sachen viele Male am Tag gewechselt.«
»Weiße Sachen?« Lily dachte dabei an das Foto mit dem lächelnden Mann in der strahlend weißen Uniform.
»Und Schuhe! Fünfzehn Paar weiße Schuhe ich für Master putzen müssen … Waren aber gute Leute, die. Gute Leute.«
Lily hörte gebannt zu, ab und zu stellte sie eine Frage. Allmählich kam Farbe in ihr schwarzweißes Bild vom alten Broome.
Biddy erzählte, daß sie den größten Teil ihres Lebens bei derselben Familie gearbeitet hatte, bis der Krieg ausbrach. »In Broome alles kaputt. Jetzt wieder alles besser. Nich mehr so wie früher, aber für Biddy is okay. Meine Enkelin is 'n tüchtiges Mädchen.«
Lily begann, sich für Biddy zu erwärmen, ihr gesunder Humor und ihre feine Beobachtungsgabe gefielen ihr.
»Haben sie dich damals gut behandelt, Biddy?«
»Ja, meine weiße Leute, ja. Wir wie eine Familie. Mein ganzer Clan kommen nach Broome. Auch die Buschtanten und Buschonkel. Jetzt wir haben nur noch uns.«
»Gab es auch schlechte Zeiten?«, wollte Lily wissen.
Die alte Frau hob die Schultern. »Manchmal. Alte Biddy fischt jetzt immer hier, gute Zeiten und schlechte Zeiten. Was soll ich sonst machen, hm?«
Lily schmunzelte. Das war auch eine Lebensphilosophie, einfach fischen gehen. Sie mochte das. Ihr gefiel das schweigsame Fischen von einem Boot aus, nur mit einer Angelschnur. Das war ein Vorwand, um einfach dazusitzen und nachzudenken oder seine Gedanken schweifen zu lassen. Nicht etwa, daß man nichts tat, man war ja beim Angeln.
»Flut kommt«, bemerkte Biddy. »Macht alles wieder frisch.«
Das Wasser stieg nun rasch und schwappte bereits über Biddys abgetretene Sandalen. Sie stand auf und begann, die Angelschnüre einzuholen. Die eine lief um eine große Plastikrolle, eine andere um einen Korken, die dritte um eine Limonadenflasche.
Lily griff nach der Flasche. »Kann ich helfen?«
»Wenn Fisch dran, schnell rausziehen«, wies sie Lily an.
»Keine Sorge, Biddy. Ich habe schon einige Male in meinem Leben mein Abendbrot geangelt.«
Aber es war Biddy, die den Fang machte und einen kräftigen Wels an Land zog, den sie gekonnt vom Haken nahm, ohne an seine stachelige Rückenflosse zu geraten.
»Ferien in Broome?«, fragte sie Lily, als sie zusammenpackten.
»So ähnlich.«
Biddy sah Lily aufmerksam an. »Broome is 'n schöner Ort. Mußt dich umschauen.«
»Das hab ich vor, Biddy.«
Lily wanderte dahin zurück, wo sich in den
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