Tränen des Mondes
weinte und schrie seine Wut in die See und den Sturm hinein.
Amy wußte, daß sie insgeheim nach ihm Ausschau hielt. Jeden Tag machte sie ihren Streifzug durch die Stadt, besuchte die Schneiderin, aß mittags im
Weißen Lotus
, stöberte bei
Streeter & Male's
herum, bummelte die Uferpromenade entlang und nahm im Continental ihren Nachmittagstee.
Sie war schon zu dem Schluß gekommen, daß er sich wohl davongemacht hatte, und wollte vor dem Heimweg noch einmal den
Streeter's Jetty
, den langen Anlegekai, entlangschlendern. Da sah sie ihn an Deck eines schwarzen Zweimasters mit roten Segeln, er machte gerade einen Malaien zur Schnecke, der sich ängstlich vor ihm duckte. Aufgerollte Hemdsärmel zeigten seine muskulösen Arme, aus dem Kragen quollen dichte schwarze Brusthaare hervor. Er sah Amy, gab dies aber lediglich dadurch zu erkennen, daß er dem Malaien eine Ohrfeige überzog und ihn davonflitzen ließ. Amy legte ihren Sonnenschirm auf die andere Schulter, machte kehrt und ging langsam wieder zurück. Gunther schwang sich auf den Kai und schlenderte ihr nach, bis sie die Straße erreichten. Hier trat er neben sie.
»Guten Tag, Mrs. Tyndall«, begrüßte er sie.
»Guten Tag, Mr. Gunther.«
»Haben Sie ein bestimmtes Ziel an diesem schönen Nachmittag?«
»Nein, ich bummle nur so herum. Ich hatte viel zu tun heute.«
»Wenn die Katze weg ist, was?«
Sie bedachte ihn mit einem maliziösen Blick. »Was meinen Sie denn damit, um alles in der Welt?«
Er lachte kurz auf. »Sie sind doch allein, haben Sie nicht Lust, heute Abend mit mir zu essen?«
Das klang wie eine beiläufige Einladung, doch als sie einander kurz anblickten, wußte Amy, daß sie an einem entscheidenden Punkt angelangt waren. Nun lag es an ihr zu beschließen, welchen Weg sie weiter einschlagen wollte.
»Das wäre im Moment nicht sehr schicklich, wo mein Mann weg ist«, erwiderte sie.
»Kommt darauf an, ob jemand etwas davon erfährt. Es könnte sich ja um eine geschäftliche Besprechung handeln. Ich mache meine Geschäftchen immer im privaten Rahmen. Im
Cable Palace
.«
»Was und wo ist denn das?«
»Ein sehr großes privates Klubhaus drüben am Cable Beach. Sie würden die Besitzer sicher sehr interessant finden.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß es in Broome interessante Leute gibt. Klingt spannend.«
»Ich schicke Ihnen einen meiner Männer vorbei, um Sie abzuholen. Sagen wir, um sieben?«
»Wird mir auch bestimmt nichts passieren?« Sie warf kokett den Kopf zurück.
»Ich halte Sie für eine Frau, die auf sich achtgeben kann. Das gefällt mir. Sie können ja einen Ihrer Dienstboten mitnehmen, wenn Ihnen das lieber ist.« Er nickte kurz, drehte sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon.
Amy sah ihm nach und spürte eine leichte Schwäche in den Knien, ob vor Nervosität oder Erwartung, wußte sie nicht zu sagen. Er war wirklich ein häßlicher Mann, von der Statur eines Fasses, vierschrötig und muskelbepackt, mit fettiger Haut, fettigen Haaren und dichter, schwarzer Körperbehaarung. Seine schwarzen Augen blickten ohne Wärme, seine Stimme mit dem kehligen Akzent klang hart, doch er übte eine animalische Anziehungskraft auf sie aus, der sie sich ebensowenig entziehen konnte wie ein Insekt, das sich in einem Spinnennetz verfangen hatte. Amy kicherte bei der Vorstellung, Karl Gunther hocke als haarige schwarze Spinne mitten in einem Netz und bilde sich ein, unheimlich mächtig zu sein. »Ha, Mr. Gunther – noch nie was von schwarzen Witwen gehört? Die Spinnenweibchen fressen die Männchen auf!« sagte sie zu sich selbst.
Nachdem sie sich ihrer Unbesiegbarkeit wieder sicher war, machte sich Amy auf den Heimweg und überlegte, welches besonders aufreizende Kleid sie zu ihrem geheimen Rendezvous anziehen würde.
Die Aboriginefrauen erreichten die Küste vor den Männern. Maya liebte diese Jahreszeit, wenn sie bei den riesigen Haufen von Muschelschalen ihr Lager aufschlugen, wo schon Generationen vor ihnen die köstlichen Meeresfrüchte genossen hatten. Die hier abgehaltenen Zeremonien unterschieden sich von den Zeremonien in der Wüste. Für Maya war dies ein besonderer Ort. Gleich nach ihrer Ankunft ging sie immer zum Strand hinunter und stellte sich mit den Füßen ins Wasser. Dann spürte sie die Verbindung, die der Ozean zwischen diesem Ufer und jenem Land in weiter Ferne schuf, dem Land ihrer Vorfahren auf der anderen Seite des Meers. Unbewußt nahm sie Fühlung mit ihrer Mutter auf, sie war dann
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