Tränen des Mondes
diesem Ort bleiben. Der weiße Mann würde sich um sie kümmern, ihr gutes Essen und Kleider geben und ihr wichtige Dinge beibringen.
Maya war wie betäubt. Ihre Lippen zitterten, dann begann sie leise zu weinen.
Die Frauen schulterten die Säcke mit Mehl und Zucker und winkten Maya zu, die jetzt verloren vor der Kirche stand, an der Hand von Bruder Frederick. Maya erwiderte den Abschiedsgruß mit ihrer freien Hand, die sie halb erhob, während sie mit den Tränen kämpfte und ihre Familie den Pfad hinunter verschwand.
Der Mann drückte ihre Hand, und sie blickte zu ihm hoch. Er lächelte, griff in seine Kutte und zog eine bunt eingewickelte Süßigkeit hervor. »Maya, hier hast du einen Lutscher. Ich weiß doch, daß du die magst«, fügte er munter hinzu.
Sie nahm das steinharte Geschenk und wickelte es langsam aus. Dann steckte sie die bunte Kugel in den Mund, genoß eine Weile den süßen Geschmack und schob den Lutscher dann auf die Seite, so daß sich ihre Wange hervorwölbte.
Bruder Frederick lächelte wieder und nahm sie bei der Hand. »Komm mit, jetzt gehen wir ein paar anständige Kleider für dich aus dem Lager holen.«
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Achtzehntes Kapitel
T yndall regte sich und hob den Kopf, als die Tropfen eines leichten Regens über seine rote, wunde Haut rannen. Sein verklebter Mund öffnete sich, das Wasser, das über seine ausgetrockneten, rissigen Lippen auf seine geschwollene Zunge lief, verschaffte ihm Erleichterung. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren, erinnerte sich aber noch dunkel daran, wie in der Nacht die Wellen gegen das ramponierte Dinghi geschlagen hatten. Als ihm das Regenwasser das Gesicht herunterlief, bemerkte er nach und nach, daß er auf dem Rücken lag und seine Beine über dem durchgebrochenen Sitz des Boots hingen. Zwischen den lecken Wänden schwappte brusttiefes Wasser. Er versuchte, sich aus seiner Kuhle aufzurichten, hatte aber nicht die Kraft dazu, sondern sank in sein wäßriges Lager zurück und schloß wieder die Augen.
Ein Rumpeln und Knirschen holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Das Boot schabte über ein Riff, die nächste Woge rammte es gegen einen Felsen, an dem der Rumpf endgültig zerbarst. Tyndall wurde aus dem Boot gespült und trieb über das Riff in tiefes Wasser. Der Schreck brachte ihn wieder zu vollem Bewußtsein, und er begann zu schwimmen. Obwohl er nur undeutlich sehen konnte, machte er in der Ferne die Umrisse zweier flacher Inseln aus. Er erkannte, daß er sich in der Meerenge zwischen den beiden Inseln befand. Unter normalen Umständen wäre es ein leichtes für ihn gewesen, ans Ufer zu schwimmen, doch seine Kleidung zog ihn schwer nach unten, seine Glieder fühlten sich an wie Bleigewichte. Das tagelange Dahintreiben im Boot hatte seine Kräfte erschöpft, und gerade als er glaubte, den Arm nicht mehr heben und die Beine nicht mehr bewegen zu können, schubste ihn etwas Großes, das neben ihm durchs Wasser glitt, in die Seite. Tyndall warf sich sofort darauf. Er schlang die Arme um den muschelverkrusteten Panzer einer alten grünen Schildkröte und klammerte sich daran fest. Sie schwamm knapp unter der Oberfläche, so daß Tyndall seinen Kopf gerade über Wasser halten konnte, während das Tier auf die größere der beiden Inseln zupaddelte.
Das Ufer bestand aus Riffen und Felsen, doch die Schildkröte schwamm durch eine schmale Rinne zwischen ihnen hindurch, und Tyndall spürte, wie sie mit dem Bauch am Boden entlangscheuerte, als sie sich den Strand hinaufmühte. Er rollte herunter und lag einen Moment da, bevor er sich mühsam aufrappelte. Dutzende von Schildkröten krabbelten auf einen dünnen Streifen Sand zu, wo sie bei Sonnenuntergang mit dem Buddeln der Löcher beginnen würden, in die sie ihre zahlreichen Eier ablegten. Tyndall konnte sich nicht länger aufrecht halten und brach am Strand zusammen.
In der abendlichen Kühle wachte er wieder auf und kroch auf eines der sandbedeckten Gelege zu. Er grub mit den Händen den Sand weg, zog ein Ei heraus und biß hinein. Das weckte wenigstens einen Teil seiner Lebensgeister. Langsam und mühevoll schleppte er sich zu einem Unterschlupf, wo er sich zusammenrollte und einschlief, nachdem er sich vorgenommen hatte, gleich wenn es hell würde, nach mehr Nahrung und Wasser zu suchen.
Amy entschied sich für das Kleid aus der roten Kimonoseide, die Gunthers Billigung gefunden hatte. Das schulterfreie Oberteil war mit schwarzer Spitze eingefaßt, das tiefe Dekollete entblößte die
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