Tränen des Mondes
Menschen nur sein können, die üppig-weiche Blonde mit den großen porzellanblauen Augen und der dunkeläugige Rohdiamant. Dennoch glomm zwischen ihnen ein geheimes Einverständnis auf, denn sie erkannten beide im anderen die eigenen Wesenszüge wieder: eine kräftige Portion Eigennutz und einen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb. Beide waren rücksichtslos, beide waren ehrgeizig und beide brachten, falls nötig, eine furchtlose Bereitschaft zum Risiko auf. Eine hübsche Frau stachelte immer Gunthers Eroberungsdrang an. Amy hatte mit Schönlingen noch nie etwas anfangen können. Forsche Liebhaber vom rauhen Schlag befriedigten sie weit mehr als reiche, alte Dandys wie Lord Campbell.
Amy liebte die Gefahr. Im weiteren Verlauf des Essens begann ihr bewußt zu werden, daß sie in Gunther womöglich einen verwandten Geist gefunden hatte. Hinter dem Geplänkel, den übertriebenen, geschminkten Halbwahrheiten, die sie beide über ihr Leben zum besten gaben, überlegte jeder, wie er den anderen benutzen könnte. Bei aller sexuellen Anziehung zwischen ihnen begannen sie schon darüber nachzudenken, ob der andere nicht irgendwie als Mittel zum Zweck zu gebrauchen wäre.
Tobias Metta trat in der Erwartung, seine Frau wie geplant beim Essen mit Amy zu finden, auf die Veranda hinaus, doch als er Amy in einer angeregten Unterhaltung mit Karl Gunther entdeckte, zog er sich hastig und bestürzt wieder zurück.
Als Tyndall davon erfuhr, fiel es ihm zuerst schwer zu glauben, daß der Mann, der Niah zum Verhängnis geworden war, noch einmal zuschlagen sollte. Einen Augenblick lang freute er sich fast, daß die beiden Verbindung miteinander aufgenommen hatten, es kam ihm ganz logisch vor, daß Amy an diesem Schurken etwas Anziehendes finden mußte. Und Gunther wiederum hatte vielleicht in Amy seinesgleichen wiedererkannt. Jeder für sich genommen stellte eine potentielle Bedrohung dar, beide gemeinsam könnten ein tödliches Team sein.
Tyndall stürmte zum Haus hinüber und brüllte Amy an, wie sie es wagen könne, ihn in der Öffentlichkeit so herabzuwürdigen, bloßzustellen und zu beschämen.
»Aber Johnny, du bist doch nicht etwa eifersüchtig«, grinste sie nur.
Ihm fielen wieder Olivias Worte ein. »Jetzt hör mir mal zu, Amy: Solange du hier in Broome bist, schlägt sich alles, was du tust, auf mich und das Unternehmen nieder. Außerdem ist dieser Mann nicht das, wofür du ihn hältst, er hat einige üble Gemeinheiten auf dem Gewissen.«
»Wirklich? Was zum Beispiel?« Sie hob die Augenbrauen und täuschte amüsiertes Interesse vor.
Tyndall ignorierte ihre Frage. »Ich verbiete dir, dich wieder mit ihm zu treffen, um deinetwillen, Amy.« Er wandte sich ab.
»Gibt es vielleicht einen geeigneteren Gentleman, den du mir für ein diskretes Techtelmechtel empfehlen könntest?« Das Lächeln zuckte noch immer um ihren Mund, und er wußte nicht, ob sie diese Frage ernst gemeint hatte oder nicht.
»Warum gehst du nicht einfach, Amy? Es gibt keine Zukunft für uns beide. Du verschwendest deine Zeit. Such dir einen passenden Ehemann.«
»Ich habe schon einen. Obwohl er mich nicht wie seine Frau behandelt. Dir stehen auch eheliche Rechte zu, weißt du das überhaupt?« Sie senkte ihren Blick und Tyndall starrte sie sprachlos an. Wie schaffte sie es nur, so sittsam zu tun und gleichzeitig so provozierend zu wirken?
Eines Nachts, als er betrunken und einsam war und sich nach Olivias Armen sehnte, hatte ihn der Trieb überwältigt, und er war zum Haus gegangen. Dort hatte er zu dem vergitterten Taubenschlag im Giebel des Hauses hochgestarrt, der gebaut war für schwüle Nächte wie diese. Er wußte, daß Amy dort oben schlief, und geriet tatsächlich in Versuchung hinaufzugehen, doch dann schlug das Begehren um in bitteren Zorn, und er suchte Zuflucht in Sheba Lane. Dort fiel die lodernde Flamme der Leidenschaft in sich zusammen, als seine Gedanken zu Olivia irrten. Trauer und Hoffnungslosigkeit überkamen ihn, und er trottete entmutigt zu seinem eigenen leeren Bett zurück.
Wenn er Amy nun so ansah, war ihm, als wüßte sie von dem Vorfall und wäre sicher, daß er eines Tages ihren Verlockungen erliegen würde. Doch sie antwortete nur: »Es gibt keinen Ort, wo ich hingehen könnte, Johnny. Ich werde warten.«
Tyndall zog geschlagen davon. Es gab nichts mehr zu sagen.
Doch Amy war von Triumphgefühlen weit entfernt. Die Fassade der Unverfrorenheit, mit der sie ihm entgegentrat, bröckelte schnell ab, als sie sich in
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