Tränen des Mondes
ihr Schlafzimmer zurückzog. Sie ließ sich in die Kissen fallen und schaute zur Bucht hinaus. Grüne Mangroven und graue Skelette abgestorbener Mangrovenbäume erhoben sich aus dem Schlick. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als trennte sie ein Wassergraben vom Rest der Welt. Sie fühlte sich eingesperrt, angeödet und einsam. Warum blieb sie überhaupt? Sie hatte es nicht geschafft, Tyndall zu verführen, er besaß immer noch die volle Kontrolle über die Finanzen. Wenn sie nur an das Geld herankäme, wie es ihre ursprüngliche Absicht gewesen war, dann könnte sie fliehen. Ihr Traum, sich mit ihrem attraktiven Mann wieder zusammenzutun und in Australien ein aufregendes Luxusleben zu führen, hatte sich in Luft aufgelöst. Sie hatte Tyndall immer als Fahrkarte in ein besseres Leben betrachtet, in ihren Augen hatte er sie einfach im Stich gelassen. Früher hatte sie, geleitet von Genußsucht und Gier, viele Chancen am Schopf gepackt, doch das hatte ihr nie dauerhafte Befriedigung gebracht.
Als sie sich ruhelos im Bett herumwarf, wurde ihr klar, daß ihre Möglichkeiten, in Broome ihr Glück zu machen, in der Tat äußerst beschränkt waren.
Tyndall hatte alles gründlich satt. Sein Zorn, seine Verzweiflung und die ständige Sorge, was Amy als nächstes wieder anstellen würde – alles, was sie unternahm, schlug hohe Wellen – laugten ihn aus bis zur Erschöpfung. Wie immer löste er seine Probleme dadurch, daß er mit dem Schiff aufs Meer fuhr.
Er ließ Ahmed zurück und steuerte die
Shamrock
mit einem Minimum an Besatzung zu den Loggern, denen er frischen Proviant bringen wollte. Außerdem wollte er noch einmal die Muschelgründe weiter im Norden absuchen. Ahmed sollte vier Wochen später zu ihm stoßen.
Die Fahrt brachte Tyndall auch wirklich die ersehnte Erleichterung. Die Gesellschaft seiner Matrosen, der Arbeitsalltag auf See, der Friede, der ihn immer erfüllte, wenn er über das blaue Wasser und den Himmel mit seinen Wolkentupfen blickte, das beständige rhythmische Schaukeln des Schiffs, das Rattern der Takelage und das laute Flattern der vom Wind geblähten Segel – all dies beruhigte seinen gequälten Geist.
Nach zwei Wochen beschloß Tyndall, die Flotte zu verlassen und eine kleine Erkundungstour in der Gegend der Lapacede-Inseln zu unternehmen.
Die ersten zwei Tage war das Segeln die reinste Freude, dann zog schlechtes Wetter auf. Von Regen und heftigen Böen gepeitscht, pflügte die
Shamrock
wacker durch die Wellenberge, während Tyndall die Karten studierte und dem ersten Maat Anweisungen gab.
Spät am Abend überprüfte Tyndall noch einmal den Kurs, redete mit der Mannschaft und ging unter Deck, um ein paar Stunden zu schlafen. »Weckt mich, wenn der Wind und der Seegang stärker werden, wir könnten in eine wilde Schaukelei reingeraten.«
»Aye, aye, Käpt'n. Keine Bange.« Der dünne dunkelhäutige Kupanger grinste zuversichtlich.
Er sollte nie dazu kommen, Tyndall zu wecken. Die
Shamrock
wurde im Sturm von einer gewaltigen Woge erfaßt, die über ihr zusammenschlug und sie querschiffs mit einem grausigen Knirschen gegen ein Riff schleuderte. Durch die Wucht des Auflaufens verloren die beiden Männer an Deck das Gleichgewicht, die nächste Welle spülte sie über Bord. Jetzt brachen die Wellen schonungslos über den auf der Seite liegenden Schoner herein, die scharfen Kanten des Riffs bohrten sich durch das Holz. Ein stämmiger Matrose aus Manila kletterte aus der Luke. Im selben Augenblick riß sich eins der Dinghis los und stürzte auf ihn, der Bewußtlose wurde gleich von Bord geschwemmt. Dann krachte das Dinghi auch schon auseinander und wurde ebenfalls fortgespült. Alle Männer waren innerhalb von Sekunden verschwunden, so daß Tyndall allein auf dem angeschlagenen Schoner zurückblieb. Er kroch über das schief liegende Deck und tastete nach dem Tau, mit dem das zweite Dinghi noch sicher festgebunden war. Graue Wellen und stechender Regen peitschten auf ihn ein, während er im Dunkeln an den Knoten zerrte. Endlich bekam er das Boot frei. Er warf sich hinein, als sich die
Shamrock
auch schon auf die andere Seite zu wälzen begann. Sie barst auseinander und wurde von einer Wasserwand verschlungen. Im Strudel des sinkenden Schiffs schwappte ein großer Schwall Wasser in das Dinghi.
Tyndall lag in dem halb untergetauchten kleinen Boot und sah zu, wie der schwarze Schiffskörper seines geliebten Schoners in Stücke zerschmettert wurde und vor seinen Augen verschwand. Er
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