Tränen des Mondes
den Kopf.
Olivia erhob sich. »Da wir schon von der kleinen Göre sprechen: Ich gehe nach Hause und sehe nach, was sie so treibt. Dann könnt ihr beide in Ruhe eine Weile zusammensein. Kommst du heute zum Abendessen, John?«
Er stand auf und umarmte sie rasch. »Natürlich. Mit Champagner. Das wird das beste Essen aller Zeiten. Wie kann ich dir jemals danken, Olivia? Als ich dich verloren hatte, dachte ich, meine Welt ginge unter … Maya hat wieder Licht in mein Leben gebracht.«
Sie machten sich voneinander los, beide empfanden die tiefe Vertrautheit ihrer Berührung. Olivia brach das Schweigen. »Maya, genieß die Zeit mit ihm, bevor Georgie ihn unter ihre Fuchtel nimmt.«
Er nahm die Hand seiner Tochter. »Würdest du gerne mitkommen und zuschauen, wie die Logger entladen werden? Erinnerst du dich an Ahmed …«
»Ich habe so viele Fragen über meine Mutter …«, sagte Maya. »Ich erinnere mich an Kleinigkeiten … aber ich möchte mehr wissen. Auch über ihre Familie …«
»Da kann dir Minnie weiterhelfen. Sie gehört zu Niahs Familie, und sie kennt auch die Traumzeitgeschichte von Niahs Familie in Makassar.«
Olivia stahl sich mit einem kurzen Winken davon. Doch sie ging nicht nach Hause. Sie wies den Kutscher an, er solle sie zum Haus auf der Landspitze fahren, zu dem Haus, das Tyndall für sie beide gebaut hatte. Sie schritt ringsherum, die Bäume, die sie gepflanzt hatten, waren gewachsen, doch es gab keinen Garten. Olivia liebte Gärten. Sie faßte den Entschluß, eines Tages den Garten ihrer Träume anzulegen, in dem die kräftigen einheimischen Sträucher, Bäume, Reben und Blumen mit ihren grellen Farben neben den zarten, duftenden Blumen ihrer englischen Kindheit wachsen sollten. Dieser Garten könnte nur im Süden gedeihen, nicht in diesem rauhen Klima. Sie würde mit Gilbert darüber reden. Erschrocken bemerkte Olivia, daß sie gerade zum ersten Mal seit vielen Tagen an Gilbert gedacht hatte. Kühn stieg sie auf die Veranda, setzte sich in den schweren Holzstuhl und schaute über die Bucht, wo sich das Wasser aus den Mangroven zurückzog und das nasse, graue Gewirr der ineinander verschlungenen Wurzeln bloßlegte.
Sie schloß die Augen. Und dachte an Tyndall. Für sie bestand kein Zweifel daran, daß Maya hier in Broome bleiben würde. Tyndall hatte jetzt eine Familie.
Plötzlich traf sie Hamishs Verlust wieder mit voller Wucht. Er würde nicht hier sein, könnte Georgie nicht aufwachsen sehen und ihr von seinem Leben und seinen Plänen erzählen. Sie sehnte sich schmerzlich nach seiner sanften Stimme, seinem warmen Lächeln. Wieder beneidete sie Tyndall, doch sie hatte ja Gilbert, sagte sie sich. Tränen des Selbstmitleids rannen ihre Wangen herab, und Olivia mußte sich eingestehen, daß ihr das Leben dort unten im Süden nicht genügte. In trüben Gedanken verloren saß sie da, dann seufzte sie tief auf, wischte sich die Wangen trocken und blickte wieder auf das türkisblaue Wasser hinaus. Es war so schön hier – der sanft geschwungene Bogen der Bucht, der tiefblaue Himmel mit seinem zarten Wolkenschleier, die leise Brise, die die Wellen tanzen ließ. Olivia strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und spürte, wie ihre seelische Kraft zurückkehrte. Langsam wurde ihr leichter ums Herz, und sie beschloß, das Leben einfach geschehen zu lassen und sich keine Sorgen mehr über die Zukunft zu machen. Lächelnd sagte sie zu sich selbst, daß das eben die Wirkung wäre, die Broome auf die Menschen ausübte. Die Zeit trat hier einen Schritt zurück, morgen wäre früh genug, um sich wegen morgen den Kopf zu zerbrechen.
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Zweiundzwanzigstes Kapitel
D en Rest des Tages heftete sich Georgie an die Fersen der alten Minnie, die die Kleine mit Aufgaben beschäftigte, die angeblich dazu gedacht waren, zur Zubereitung des Abendessens beizutragen, aber nur zu einer unglaublichen Unordnung auf dem Küchenboden führten. Olivia und Minnie staksten gutgelaunt durch das Durcheinander, während sie kochten, die Gläser und das Tafelsilber polierten und die leinene Tischwäsche aus einer Kampferholztruhe hervorzogen.
Maya kam spät am Nachmittag nach Hause. All das, was dieser Tag ihr gebracht hatte, hatte sie aufgeregt und erschöpft. »Wenn ich mich nicht baden und ausruhen kann, sterbe ich«, stöhnte sie glücklich, während sie in der Küche gekühlte Limonade trank. »Der Tag war einfach phantastisch! Mein Vater ist so wunderbar, findest du nicht auch?« Olivia lächelte, und Maya
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