Tränen des Mondes
Erinnerungen an meine Mutter und meine frühe Kindheit hier in Broome.«
Minnie knallte die Teekanne auf den Tisch, beugte sich vor und blickte Maya scharf in die Augen. »Du schämst dich, weil du eine Schwarze bist, ha?« wollte sie wissen.
Maya zuckte bei diesem Ausbruch leicht zurück, wich aber der Auseinandersetzung nicht aus. »Ehrlich gesagt, Minnie: Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Aber es ist schwierig, wenn du so erzogen worden bist …«
»… daß Schwarze weniger wert sind«, rief Minnie dazwischen.
»Ja, so haben jedenfalls viele Leute gedacht, und ich wußte nicht, was ich denken sollte. Manchmal kam ich mir anders vor als die anderen Leute, mit denen die Barstows Umgang hatten, anders als die Mädchen in der Schule. Doch ich hatte nie Kontakt mit Aborigines und habe nie ernsthaft über das Thema nachgedacht. Wenn Erinnerungen aufkamen – sie waren wie Träume –, schob ich sie weg. Jetzt, wo ich hier bin und meine Geschichte kenne, habe ich das Gefühl, daß ich nie wußte, wer ich war. Das schmerzt mich, und ich empfinde große Bitterkeit gegenüber den Menschen, die mir meine Identität genommen haben. Aber um auf deine Frage zu antworten, Minnie: Ich schäme mich nicht, daß ich zu ›deinen Leuten‹ gehöre, wie du sagst.«
»Aber du mußt lernen, stolz darauf sein. Das ist ein Unterschied, Mädchen. Du weißt nicht, wer du wirklich bist, wenn du nicht alle Fäden von deine Familie aufsammelst. Dann webst du sie zusammen und fertig.« Minnie schenkte Tee nach. »Vielleicht die haben dir dies und das beigebracht, vielleicht du hast in Stadt gewohnt und schöne Kleider angehabt und richtige Schuhe und gelebt wie weißes Mädchen. Aber sie können dir nicht wegnehmen, was ist in dein Kopf und dein Herz. Das ist die echte Maya. Und bis du nicht findest und weißt, wer du bist, kannst du nicht glücklich sein.«
Maya trank einen Schluck Tee und lächelte zaghaft. »Klingt gut. Ich glaube, es ist wirklich Zeit, wieder meine Familie zu besuchen.«
Minnie nickte befriedigt. »Kleine soll auch mitkommen, auch wenn noch zu jung für Zeremonie, versteht nicht, was bedeutet.« Dann deutete sie auf den Anhänger um Mayas Hals. »Dein Vater versteht. Sag ihm, Minnie hat gesagt, Zeit daß du gehst in Süden.«
Tyndall stimmte sofort zu, als Maya ihm von ihrem Gespräch mit Minnie erzählte. »Das alte Mädchen hat schon recht. Diese Frauen haben in deinem Leben eine wichtige Rolle gespielt … sie sind mit deiner Urgroßmutter, mit deiner Mutter und mit dir verbunden. Auch für Olivia waren sie sehr wichtig. Das ist eine Reise, die du unbedingt machen mußt, mit Georgie.«
»Ich bin ein bißchen nervös, aber ich freue mich wirklich darauf.«
»Hör ihnen zu, was sie zu sagen haben, Maya. Das tut nicht jeder. Knüpfe die Verbindung zu deiner Familie wieder an. Ich habe die Fäden losgelassen, und als ich den Kontakt wieder suchte, war es zu spät. Du und Georgie, ihr seid alles, was ich an Familie habe.« Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Weißt du was? Ich bring euch mit dem Schiff hin. Wir nehmen Minnie mit, dann wird eine Art Familienausflug daraus.«
Als sie auf der
Mist
nach Süden segelten, saßen Tyndall und Minnie mit Georgie und Maya an Deck, während Ahmed das Ruder übernahm. Tyndall erzählte Geschichten über den Clan, wie die Frauen Olivia bei der Geburt des kleinen James geholfen hatten, er erzählte, was er von Niah über ihr Leben erfahren hatte, über ihre Großmutter aus Makassar und über ihre Familie im Land Marege, das sich befindet, wo die Monsunwinde ihren Ursprung haben.
Als sie bei Cossack die Küste ansteuerten, verbrachte Maya die Zeit damit, schweigend an Deck zu sitzen und aufs Ufer zu starren. Sie nahm die Schönheit der Halbwüste in sich auf und hatte zum ersten Mal im Leben ein Gefühl der Zugehörigkeit. Minnie saß nicht weit von ihr und war ebenfalls zufrieden, ihren eigenen Gedanken nachhängen zu können. Erst dachte Maya, dieses Zugehörigkeitsgefühl hätte etwas mit dem Meer zu tun, denn das schaukelnde Vorwärtsgleiten des Schoners, der sich dem Wind und den Kräften der Natur überließ, besaß etwas Tröstliches. Sie mußte an ihre Vorfahren denken, die vor langer Zeit in diesen Winden, diesen Gewässern gesegelt waren. Wie Maya selbst waren sie auf der Reise gewesen, einer Reise ins Unbekannte. Doch nun drängte sich das Land in den Vordergrund ihrer Gedanken. Es hatte etwas Hartes, Abweisendes, dennoch
Weitere Kostenlose Bücher