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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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passiert?«
    Die junge Frau schwankte hin und her, während sie händeringend fortfuhr. »Mem, Doc Shaw geht nicht gut. Ganz krank. In Krankenhaus.«
    Einen Moment lang wurde Olivia ganz schwach in den Knien, dann holte sie tief Luft und packte Mollie an den Schultern. »Sag mir, was ihm fehlt. Hat er einen Unfall gehabt?«
    »Weiß nicht, Mem. Ist hingefallen, kann nicht mehr bewegen. Jetzt in Krankenhaus.«
    Olivia eilte ins Krankenhaus von Fremantle. Eine mitfühlende Oberschwester führte sie zu Gilberts Bett und erklärte ihr, daß er einen schweren Schlaganfall erlitten hätte. »Das war vor zwei Tagen, er ist immer noch bewußtlos. Im Moment können wir die Folgen überhaupt noch nicht abschätzen. Vielleicht erholt er sich wieder ganz gut … oder …«
    »Oder vielleicht erwacht er auch nie wieder aus dem Koma«, beendete Olivia den Satz.
    Es war für sie ein Schock, Gilbert mit fahler, graustichiger Haut in diesem Krankenhausbett liegen zu sehen. Plötzlich sah er so gebrechlich, so dünn und sehr alt aus. Als sie neben ihm saß und seine Hand hielt, trat der diensthabende Oberarzt, den sie beide gut kannten, ins Zimmer. »Meine liebe Mrs. Shaw … so eine schreckliche Sache. Sieht leider nicht gut aus. Ich bin so froh, daß Sie jetzt hier sind, das wird ihm sicher helfen.«
    »Dr. Harrington, bitte erzählen Sie mir, was vorgefallen ist und wie die Aussichten sind.«
    »Im Moment ziemlich schlecht. Aber bei solchen Fällen kann man nie wissen. Ich habe schon Leute gesehen, die die Augen aufschlugen und wieder völlig gesund waren. Anscheinend ist er in der Nacht aufgestanden und gestürzt. Ihr Mädchen hat ihn am nächsten Morgen auf dem Boden gefunden. Nachdem er hierhergebracht wurde, kam er zu sich, aber nur ganz kurz. Er hat nach Ihnen gerufen und ist dann wieder ins Koma gefallen.«
    Olivia drückte Gilberts Hand und blickte ihren Mann an, der aussah, als schliefe er. Doch wenn man ihn genauer betrachtete, hatte man mehr den Eindruck, er triebe in einem traumlosen Zustand dahin. Sie beugte sich dicht an sein Ohr. »Gilbert, kannst du mich hören? Ich bin's, Olivia. Ich bin hier, mein Liebster.«
    »Ich empfehle Ihnen, daß Sie soviel wie möglich bei ihm bleiben, mit ihm reden, ihn berühren. Für den Fall, daß er Sie hören oder Ihre Anwesenheit spüren kann. Das hilft. Einer meiner Patienten hat mir, als er wieder zu sich kam, berichtet, daß er die ganze Zeit, die er scheinbar bewußtlos dagelegen hatte, alles genau wahrnahm, was um ihn vorging. Er konnte nur nicht sehen, sich bewegen oder sprechen. Zum Aus-der-Haut-Fahren!«
    Olivias Blick wanderte vom Gesicht des Arztes zurück zu Gilbert. Verzweiflung, Schmerz und Mitleid schlugen über ihr zusammen. »Natürlich werde ich soviel Zeit wie möglich mit ihm verbringen.«
    Der Arzt klopfte ihr auf die Schulter. »Vernachlässigen Sie aber nicht Ihre sonstigen Pflichten oder sich selbst, meine Liebe. Wir tun alles, was wir können … doch ich fürchte, in solchen Situationen müssen wir der Natur ihren Lauf lassen.«
    Die Stunden schlichen unendlich langsam dahin, und Olivia überkam ein Gefühl, als wäre sie in eine Zeitfalle geraten. Ihre Gefühle waren in Aufruhr, sie versuchte, nicht an Tyndall zu denken, doch wenn ihre Gedanken trotzdem zu ihm abirrten, versetzte ihr Gilberts Anblick gleich einen Stich ins Herz und löste schreckliche Schuldgefühle in ihr aus.
    Sie las Gilbert vor, redete mit ihm und rieb ihm sanft die Arme, Beine und Füße. Zwei Tage nach ihrer Rückkehr aus Broome, das ihr jetzt einer anderen Welt anzugehören schien, fürchtete sie, Gilbert würde ihr entgleiten, doch als sie von dem Buch aufblickte, das sie ihm vorlas, hatte er die Augen geöffnet und sah sie mit eindringlichem Blick an.
    Olivia fuhr zusammen. »Gilbert!« stieß sie hervor. »Kannst du sprechen, kannst du mich hören? Wie geht es dir?«
    Er regte sich nicht. Sie ergriff seine Hand und beugte sich dicht zu ihm heran, doch seine schlaffen Muskeln, der reglose Ausdruck seines Gesichts und sein unverwandtes Starren dämpften ihre anfängliche Freude. Sie lief hinaus, um eine Schwester zu holen.
    Sie gaben ihm zu essen, badeten ihn und führten einige Tests mit ihm durch, doch niemand konnte ihm eine körperliche oder emotionale Reaktion entlocken. Olivia ließ seine Finger in ihrer Hand liegen und hoffte auf irgendein Zucken als Antwort auf ihre Fragen. Doch obwohl er nicht auch nur zu der leisesten Bewegung fähig war, war Olivia tief im Herzen

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