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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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ist einfach wunderbar!«
    Sie rannte ins Haus und rief nach Mollie und Stan. Atemlos wies sie Stan an, mit dem Rad zu Dr. MacDonald zu fahren und ihm zu sagen, daß er sofort kommen solle.
    »Mollie, mach bitte Tee und bring ihn in die Laube – schnell!« Olivia lief aufgeregt zu Gilbert zurück. Ihre Fürsorge, ihre Geduld, ihre Gebete hatten sich gelohnt. Vielleicht würde er sich nicht vollständig erholen, aber vielleicht hätte sie wenigstens wieder einen Gefährten. Sie hoffte, Gilbert würde wieder sprechen können, denn sie hatte so viele Fragen an ihn. Aber auch wenn er sich lediglich wieder bewegen könnte, dann würden sie imstande sein, sich wieder auszutauschen. Für ›nein‹ könnte er einmal, für ›ja‹ zweimal mit dem Finger klopfen. Im Hochgefühl solcher Hoffnungen gelangte sie bei der Laube an und sah von hinten, daß er sich in seinem Rollstuhl sogar noch weiterbewegt hatte. »Gilbert, nur nicht zuviel auf einmal …« Doch als sie ihn von vorne sah, erstarben ihr die Worte auf den Lippen. Gilbert hing leicht zur Seite, den Arm noch immer unter der Decke hervorgestreckt, doch seine Augen waren geschlossen, sein Mund stand in einem Ausdruck des Staunens leicht offen.
    »Gilbert?« Olivia nahm seine Hand, rückte mit der anderen seinen Kopf wieder gerade und wußte, daß er tot war.
     
    Mollie lächelte erfreut, als sie Olivia neben ihrem Herrn sitzen und seine Hand halten sah, während beide in den Garten schauten. Olivia nahm ihr das Tablett mit dem Tee ab und stellte es auf die kleine Bank, und erst jetzt sah Mollie ihre nassen Wangen. Ihr Blick wanderte zu Gilbert hinüber, und ihre Hand flog an ihren Mund. In panischem Schrecken und voller Entsetzen darüber, daß die Geister des Todes so plötzlich auftauchen und einen Menschen an einem so frischen, sonnigen Morgen mit sich nehmen konnten, floh sie zum Haus zurück.
     
    Dr. MacDonald erklärte, Gilberts hoher Blutdruck, den sie weder kontrollieren noch behandeln konnten, hätte möglicherweise zwei weitere Schlaganfälle ausgelöst. »Das wäre eine denkbare Ursache für die plötzliche Bewegung – ein kleinerer Schlaganfall, der vor dem tödlichen Anfall noch Muskelreaktionen hervorrief.«
    Olivia schüttelte den Kopf. »Nein, Gilbert wollte sich von mir verabschieden. Daß er seine Hand nach mir ausstreckte, geschah durch reine Willenskraft oder mit Gottes Hilfe«, erwiderte sie bestimmt.
    Der freundliche Arzt, der Gilbert seit der Studentenzeit kannte, wollte nicht widersprechen. »Sie waren ihm eine anregende Gesellschaft und haben ihn hingebungsvoll gepflegt, Olivia. Ich bin sicher, Sie haben recht.«
     
    In Perth wurde für Dr. Gilbert Shaw ein großer Gedenkgottesdienst abgehalten. Das fahle Licht eines bedeckten Morgenhimmels sickerte durch die hohen Bleiglasfenster, und in der vordersten Reihe starrte Olivia auf den Lichtfleck vor ihren Füßen, der sich wie verschüttete Milch auf dem Steinboden ausbreitete. Sie verlor sich in diesem Lichtfleck, ihre Gedanken schweiften zum Licht anderer Tage zurück. Zu einem kalten Abend, an dem sie mit Conrad durch London ging und behagliches Licht aus den Läden und Pubs schimmern sah. Zum Licht des Morgengrauens, als sie, an die Reling der
Lady Charlotte
gelehnt, zum ersten Mal Australien erblickte. Zum Morgenlicht in Broome, dem blauen, wie frisch gewaschenen Himmel, der klaren, türkisgrünen See und dem goldenen Licht, das über die Mangroven, über das Watt und über die Blattspitzen streifte und die Blechdächer mit einem leuchtenden Schimmer verzauberte. Olivia war von den verschwommenen Lichtmustern auf dem Boden wie hypnotisiert und nahm fast während des ganzen Gottesdienstes kaum wahr, was um sie vorging. So zuckte sie überrascht zusammen, als Dr. MacDonald sie am Ellbogen faßte und sich erhob. Die Messe war vorbei. Gilbert war die letzte Ehre erwiesen, er war zur Ruhe gebettet.
     
    In den folgenden Wochen sahen Mollie und Stan stumm zu, wie Olivia schwermütig durch den Garten streifte. Eines Tages, als sie vor einem Blumenbeet kniete und ganz ins Unkrautjäten vertieft war, fiel ein Schatten über sie, und eine starke Hand half ihr aufzustehen.
    Die Welt machte nicht mehr vor ihr Halt. Jetzt drang sie in ihren Garten ein. Tyndall stand vor ihr. Olivia zeigte keine Überraschung, rührte sich nicht, stand einfach da und blickte in dieses Gesicht, das in ihre Seele eingebrannt war.
    Auch er sah ihr in die Augen. »Komm nach Hause, Olivia. Es ist Zeit.«
     
    In

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