Tränen des Mondes
kehrte in ihrem Urlaub nicht mehr nach Broome zurück, und auch ihre Briefe wurden immer seltener.
Es war ein Schock für sie alle, als Georgiana ihnen in einem Brief ankündigte, man hätte ihr einen Job in der Hauptgeschäftsstelle der Gesellschaft in Sydney angeboten und sie würde in zwei Wochen ein Schiff nach Osten nehmen.
Maya lief sofort zur Post und schickte ein Telegramm an ihre Tochter.
Viel Glück Gott segne dich In Liebe Deine Mutter.
Langsam und traurig ging sie nach Hause zurück, sie wußte, daß der Sinn dieser Übersiedelung in den Osten darin bestand, eine noch größere Entfernung zwischen ihrer Tochter und jenem Erbe zu schaffen, mit dem sie nicht leben konnte.
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Vierundzwanzigstes Kapitel
M aya blickte hoch zu dem Postflugzeug, einer Mac Robertson Miller de Havilland, die vor ihrer Landung über Broome kreiste. Sie mußte eine Vorahnung gehabt haben, denn am nächsten Morgen überreichte ihr Olivia einen Brief. Er kam von Georgie aus Sydney.
Liebe Mutter,
ich fühle mich hier in Sydney sehr wohl, ich hatte das Gefühl, daß es in Perth für mich einfach nicht genug Möglichkeiten gab, und wie recht ich hatte! Ich habe einen wunderbaren Job in einem Kaufhaus in der Elizabeth Street. Ich bin die Sekretärin des Modeeinkäufers – alle diese langweiligen Übungsstunden auf der alten Remington machen sich jetzt bezahlt –, und ich genieße meine Arbeit. Über befreundete Kollegen habe ich eine winzige Wohnung in Kings Cross gefunden, einem richtigen Künstlerviertel, wo viele Maler, Schriftsteller, Musiker und ›Individualisten‹ wohnen – in meiner Straße! Ich stehe hier mitten im Leben, und meine Karriere verläuft ziemlich geradlinig. Die Jahre als Bürogehilfin, dann als Sekretärin bei der Schiffahrtsgesellschaft in Perth haben sich als wertvoll erwiesen, auch wenn mich die Arbeit manchmal tödlich langweilte. Als ich dort bei Olivias und Gilberts Freunden wohnte, hielt ich mich für eine unabhängige, moderne Frau, die sich in der Welt behauptet und ihren eigenen Lebensunterhalt verdient. Ich glaube, die Guten wären schockiert, wenn sie die Karrierefrauen hier in Sydney sehen könnten. Alle ziehen sich aufregend an, und das gesellschaftliche Leben ist bemerkenswert. Ich bin froh, daß ich auf modische Kleidung Rabatt kriege! Ich habe jetzt vor zu sparen, was ich kann, damit ich in einem Jahr oder so ins Ausland reisen kann. Ich habe hier viele interessante Ausländer kennengelernt und kann es kaum erwarten, London zu sehen. Herzliche Grüße an Olivia und Tyndall.
In Liebe, Georgie
Maya faltete den Brief zusammen. Er war in Georgies großer, fließender Handschrift geschrieben, genauso atemlos, wie sie auch redete. Hat den Brief wahrscheinlich auf die Schnelle hingekritzelt, in der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit, dachte Maya. Sie freute sich über die Fähigkeit ihrer Tochter, für sich selbst zu sorgen und in der Welt voranzukommen. Georgie war eine Abenteurerin, die sich nie unterkriegen lassen würde, jedenfalls blickte sie nicht bedauernd nach Broome zurück. Georgie hatte ihre Unabhängigkeit schon von klein auf bewiesen, doch Maya machte es traurig, daß sie sich dabei von ihrer Familie abgewandt hatte. Georgie hatte sich der Familie nie wirklich verbunden gefühlt, und Maya begriff nicht, warum. Vielleicht hätte sie die Versuche, ihr mehr Wissen über ihre Herkunft zu vermitteln, nicht so schnell aufgeben sollen, dann hätte sie vielleicht ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln können. Minnie hatte immer gesagt, Georgie hätte alles lernen und die Zeremonien mitmachen müssen, doch das Mädchen hatte sich wild gegen alles gesträubt, was mit ›Minnies Clan‹ zu tun hatte. Zwischen Maya und ihr bestand nicht die emotionale Nähe, die sich Maya gewünscht hätte, und manchmal beschlich sie das Gefühl, ihre Tochter hätte zu Olivia eine engere Beziehung als zu ihr.
Sie teilte Olivia diese Gedanken mit, nachdem sie ihr Georgies Brief zu lesen gegeben hatte.
»Sie ist sicher ein Freigeist, deine Georgie, das steht fest. Aber ich glaube, daß sie so zur Welt kam. Du darfst dir keine Vorwürfe machen, daß du bei ihrer Erziehung versagt hättest. Hoffen wir einfach, daß Georgie eines Tages genug davon hat, in der Welt herumzugondeln, und ihr wirkliches Selbst finden wird. Wie wichtig die Familie ist, wird sie vielleicht merken, wenn sie heiratet«, sagte Olivia, um Maya zu trösten.
Maya nickte, erwiderte aber nichts darauf. Tief im Innersten hatte sie
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