Tränen des Mondes
ihre Zweifel daran, daß Georgiana einmal als hingebungsvoll liebende Tochter in den Schoß der Familie zurückkehren würde, und sie empfand diese Erkenntnis als Zurückweisung ihrer selbst. Manche Menschen brauchten jene Nähe nicht und stellten sich nie dem, was sie wirklich waren und was in ihrem Leben wichtig war. Minnie hatte früher immer gesagt, solche Menschen würden als ›verlorene Seelen‹ sterben, und Maya hoffte inständig, daß Georgie nicht zu ihnen gehörte.
Tyndall schlenderte über die fast menschenleere Veranda des Continental. In früheren Tagen wäre sie um diese Zeit, kurz vor dem Mittagessen, laut und überfüllt gewesen. Er entdeckte die rundliche Gestalt Toby Mettas, der sich mit dem schlanken Mann im förmlichen grauen Anzug neben Olivia unterhielt, und nahm Kurs auf die Gruppe. Der Mann erhob sich, als Tyndall zu ihnen stieß.
Toby machte die beiden miteinander bekannt: »John, darf ich dir Claude Barat vorstellen … Claude, das ist Kapitän John Tyndall.«
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Sir. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«
Tyndall lächelte, als er dem gutaussehenden jungen Europäer, der zum ersten Mal zum Perlenkauf nach Australien gekommen war, die Hand schüttelte. »Wie geht es Ihrem Vater? Wir werden ihn vermissen, er war für uns nicht nur ein Geschäftspartner, sondern ist mit den Jahren auch ein wirklich guter Freund geworden. Männer seines Formats finden selten den Weg nach Broome.«
»Vielen Dank für Ihre freundlichen Worte. Mein Vater erinnert sich mit großer Sympathie an Sie. Schade, daß ihm das Reisen nun zu beschwerlich wird, aber er ist immer noch im Geschäft aktiv. Ich freue mich schon auf meine regelmäßigen Besuche in Broome. Natürlich erst, wenn sich die Lage beruhigt.«
»Trinkst du etwas mit uns, John?« fragte Toby.
»Wenn ich schon mal da bin, ja danke. Dann haben also Sie und Olivia die Geschäfte bereits abgewickelt?« Er lächelte seiner Frau zu. »Sie haben wahrscheinlich schon herausgefunden, daß Olivia mit harten Bandagen kämpft.«
»Mein Vater hat mir erzählt, daß Mrs. Tyndall immer fair und … bezaubernd ist.« Monsieur Barats Sohn erhob sein Glas auf Olivia und nickte ihr galant zu.
Auch Tyndall trank einen Schluck. »Der Perlmuttmarkt siecht dahin, aber wir finden immer noch die eine oder andere anständige Perle. Doch was meinen Sie mit ›wenn sich die Lage beruhigt‹? Spielen Sie auf den Markt an?«
»Ich dachte eher an die politischen Ereignisse in Europa, vor allem in Deutschland. Die Juden werden auf schreckliche Weise verfolgt. Hitler rüstet für einen Krieg, daran zweifelt heute niemand mehr. Das wird auch für Broome nicht ohne Folgen bleiben, das können Sie mir glauben.«
Olivia hielt überrascht die Luft an und wandte sich an Tyndall, der keine Miene verzog. »Also, wenn es überhaupt einen Ort gibt, wo die Wahrscheinlichkeit, in einen internationalen Konflikt verwickelt zu werden, verschwindend gering ist, dann ist das Broome. Obwohl wir im Lauf der Jahre unsere eigenen kleinen Kriege ausgefochten haben. Stimmt's, Toby?« sagte Tyndall mit dem Anflug eines Grinsens.
»Das kann man wohl sagen. Aber in Europa rumort es doch bedenklich«, sagte Toby und zündete sich eine Zigarette an.
»So bedenklich, daß mein Vater die Familie und das Geschäft aus Europa nach New York verlagert«, ergänzte Claude Barat.
Tyndall zog die Brauen hoch. »Das ist ein gewichtiger Schritt. Vor allem in so düsteren Zeiten wie diesen. Wir haben uns von der Wirtschaftskrise nur sehr langsam erholt. Ein Krieg in Europa könnte sich verheerend auswirken … die Perlmuttbranche endgültig lahmlegen. Und das können wir uns nicht leisten. Plastik ist mit Perlmutt überhaupt nicht zu vergleichen.«
»Nun, die Zeiten ändern sich, Kapitän Tyndall …«
»Da haben Sie recht«, stimmte Tyndall zu. »Ich kann mir aber Broome nur schwer ohne die Perlenfischerei vorstellen. Sie ist das Herz dieser Stadt.«
»Sollten Sie nicht vielleicht einen Rückzug aus den Geschäften ins Auge fassen, Kapitän Tyndall? Dies wäre der richtige Zeitpunkt, um sich zu verabschieden«, schlug Claude Barat behutsam vor.
»Nein, verdammt noch mal, nie im Leben!« protestierte Tyndall entschieden.
An diesem Abend führte er ein ernstes Gespräch mit Olivia. Diesmal plauderten sie nicht beim Abenddrink auf der Veranda, sondern lagen im Bett und hielten sich im warmen Dunkel fest umschlungen.
»Die Bemerkung des jungen Barat hat voll
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