Tränen des Mondes
winzige, nur aus einem Raum bestehende Hütte, in der sie manchmal tagelang blieben. ›Haus Schiffbruch‹ tauften sie sie. Sie kochten auf offenem Feuer, schwammen nackt in von Felsen umgebenen Teichen und schliefen in Hängematten unter Palmen.
Olivia beschrieb diese Tage schlichten, unbeschwerten Vergnügens ausführlich in ihrem Tagebuch … ihren Besuch in dem großen Zirkus, der mit dem Küstendampfer heraufkam und sein Zelt im Garten des Conti aufschlug … einen Abend in den
Sun Pictures
, dem Freiluftkino, wo sie in bequemen Liegestühlen Platz nahmen und wo ein Lattengitter die Weißen von den ›Farbigen‹ trennte, die auf der anderen Seite auf Bänken saßen … ein eiskaltes Zitronensorbet an einem heißen Nachmittag … Ausflüge zum Eda-See, wo sie wilde Truthähne und Enten jagten und mangels Jagdhunden Stans junge Verwandte einspannten, die die erlegten Tiere aufspürten und zu ihnen brachten … die Paarungstänze Hunderter von Brolgas, die sie bei Sonnenuntergang in den Randgebieten der Roebuck-Ebene beobachteten. Auf diesen Ausflügen sammelte Olivia Blumen und Gräser, die sie preßte und in ihr Herbarium klebte.
Die Wirtschaftskrise führte ein zweites Mal zum Zusammenbruch des Perlmuttgeschäfts. Mitte der dreißiger Jahre zwangen die Preisstürze viele Perlenunternehmer zur Aufgabe, andere mußten zumindest einige ihrer Logger abstoßen. Die Flotte der
Star of the Sea
bestand nur noch aus dem Schoner
Mist
und vier Loggern, nachdem sechs Logger zu einem sehr schlechten Preis verkauft worden waren. Die Lage verschlimmerte sich noch dadurch, daß ausländische Schiffe in australische Gewässer eindrangen oder die Muschelgründe in der Tiefsee abfischten. Durch die kleinen Motoren, die man für die Logger entwickelt hatte, waren die Flotten wesentlich mobiler geworden, und die australischen Perlenunternehmer wurden mit einer regelrechten Invasion ausländischer Schiffe überwiegend japanischer Herkunft konfrontiert, vor allem in den nördlichen Gewässern.
Die Perlenunternehmer einschließlich Tyndall waren wütend, doch es schien keine Möglichkeit zu geben, sich dagegen zu wehren.
Olivia versuchte, die Veränderungen gelassen hinzunehmen. »John, du bist jetzt über sechzig, und wir haben ganz ordentlich verdient. Im Perlengeschäft ist immer noch etwas zu holen, und uns geht es finanziell gut.«
»Aber es ist einfach nicht richtig … Klar, es wird viel in internationalen Gewässern gefischt, aber die Ausländer dringen auch in unsere Territorialgewässer ein. Die Polizei berichtet, daß Eingeborene gegen Alkohol, Tabak und Mehl an japanische und malaiische Schiffe verkauft werden. Erwischt wurde allerdings noch niemand. Und die Zollbeamten haben überhaupt keine Chance. Die haben nicht mal anständige Schiffe.«
Tyndall war ausgesprochen schlechter Laune und stapfte ins Haus, holte aus dem Eisschrank eine Flasche Bier, schenkte sich einen Zinnbecher voll ein und kehrte zu Olivia auf die Veranda zurück. »Und noch was. Ich werde mich nicht als Perlenunternehmer a. D. auf dieser verdammten Veranda zur Ruhe setzen, deshalb brauchst du mein Alter gar nicht mehr zu erwähnen.«
Olivia blickte von ihrem Tagebuch auf und lächelte, als sie die Feder in das Tintenfäßchen tauchte. Sie fand es göttlich, mit welcher Entrüstung ihr Mann sich jeden Hinweis auf sein Alter verbat. »Aber nein, mein Liebling, natürlich wirst du dich nicht zur Ruhe setzen. Das würde überhaupt nicht zu dir passen.«
Der einzige Schatten über ihrem Leben war die rebellische Georgiana. Schon vor Jahren hatten sie nach vielen langen und oft tränenreichen Auseinandersetzungen kapituliert und sie auf eine höhere Schule in Perth gehen lassen, wo sie bei alten Freunden Olivias wohnte. Georgiana hatte sich für das Leben in Broome und die Leute hier nie erwärmen können. Es machte Maya sehr traurig, daß ihre Tochter derart entschlossen schien, ihrem Aborigine-Erbe den Rücken zu kehren.
»Du kannst es ihr nicht aufzwingen, meine liebe Maya«, sagte Olivia mitfühlend. »Vielleicht interessiert sie sich einmal von selbst dafür, doch das muß allein ihre Entscheidung bleiben. Sie muß ihre Situation als sehr schwierig empfinden.«
Und Georgiana hatte sich nach dem Schulabschluß nicht an Maya, sondern an Olivia um Hilfe gewandt. Olivia fuhr eigens nach Perth, um Georgiana in einer Sekretärinnenschule unterzubringen, jetzt arbeitete sie im Büro einer der Küstenschiffahrtsgesellschaften. Georgiana
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