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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Schulbildung für einige wenige, die es in der Welt der Weißen zu bescheidenem Erfolg gebracht hatten. Im besten Falle hatten die Missionare den Ureinwohnern Zuflucht vor den Angriffen der weißen Siedler geboten, die sie mit der Zeit vollständig ausradiert hätten. Nur war der Preis dafür sehr hoch gewesen, sagte sich Lily. So viel von einer wertvollen Kultur war verlorengegangen oder ausgelöscht worden, denn die meisten christlichen Missionen hatten die Sprache und Sitten der Eingeborenen nicht geduldet, weil sie sie in ihrer Unkenntnis als heidnisch und primitiv ansahen.
    Lily starrte auf den Deckenventilator, dessen langsame Drehungen sie in einen hypnoseähnlichen Zustand gleiten ließen, und sie begann, ihre Einstellung zu den Aborigines zu überdenken. Bei so manchem gemütlichen Abendessen mit Freunden in Sydney hatte sie vehement für die von der Regierung geförderten Maßnahmen zur Aussöhnung mit den Aborigines Partei ergriffen, den Erhalt ihrer Landrechte verteidigt und leidenschaftlich dafür plädiert, daß der Gesundheits- und Lebensstandard der Ureinwohner verbessert werden müßte. Nur hatte sie vor ihrer Reise nach Broome noch nie einem leibhaftigen Aborigine gegenübergestanden oder war auch nur im entferntesten mit ihrer alten Kultur in Berührung gekommen.
    Ich bin eine politisch korrekte moderne Städterin, das ist alles, gestand sie sich ein. Biddy, die alte Frau mit der Angelschnur, war die erste Aborigine, die sie kennengelernt hatte, eine Tatsache, die Lily gar nicht aufgefallen war. Sie hatten miteinander geredet, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Im Nachhinein betrachtet, war die Begegnung für Lily ein bedeutendes Ereignis. Sie hatte mit einer Frau geplaudert, deren Kultur womöglich vierzigtausend Jahre alt war. Du lieber Himmel, vierzigtausend Jahre Angeltradition. Und jene Viehhüter … sie waren aus der Weite aufgetaucht, als seien sie mit dem Land verwachsen, und waren ebenso selbstverständlich wieder verschwunden. Lily wurde bewußt, wie wohl sie sich in ihrer Gegenwart gefühlt hatte. Und auch in der Gegenwart der alten Frau. Dabei hatten sie doch nichts miteinander gemein.
    Die Augen fielen ihr zu. Sie vermeinte, das melodische Summen eines entfernten Didgeridoos zu hören und driftete allmählich in eine andere Welt … einen anderen Bewußtseinszustand … da klingelte das Telefon.
    Es war Deidre. Sie wollte sie nur an die Ausstellung im Cable Beach Club erinnern und bot ihr an, sie im Auto mitzunehmen. Lily nahm das Angebot gerne an, und sie verabredeten sich im Mangrove Hotel.
    Aufgrund seiner unvergleichlichen Lage hoch über der Bucht hatte man vom Hotel aus einen großartigen Blick über die Mangrovenhaine, auf den Wechsel der Gezeiten in der Bucht oder – etwas völlig Neues für jemanden von der Ostküste – auf den Sonnenuntergang über dem Meer.
    Lily saß im Hotelgarten vor einem Glas Wein mit dem Rücken zu einer Gruppe aufgekratzter Touristen, einigen Einheimischen und einer Tagungsgesellschaft aus Perth, die die Bar und die Veranda lautstark bevölkerten. Als sie ihr Glas geleert hatte, stand sie auf, spazierte ans Ende des Gartens und blickte auf die Bucht hinunter. In den Mangroven lag das Gerippe eines Boots, das von der Flut umspült wurde.
    »Darf ich Ihnen noch ein Glas Wein anbieten?«
    Überrascht drehte Lily sich um und sah sich einem gutaussehenden Mann gegenüber, der sie freundlich anlächelte.
    »Ken Fitzgerald. Ich bin der Hotelmanager. Sind Sie ein Hotelgast? Ich sehe Sie heute zum ersten Mal.«
    Sie plauderten ein wenig, und es verwunderte Lily überhaupt nicht, daß der Manager vormals Viehzüchter war. Er hatte so eine offene, ungezwungene Art.
    »Das ist aber eine Umstellung, wenn man aus der Landwirtschaft ins Hotelfach wechselt«, meinte sie.
    »Eigentlich nicht. Ob Menschen oder Rinder, sie müssen alle Futter und Wasser bekommen«, scherzte er. »Es fiel uns nicht leicht, unsere Farm zu verlassen, aber das hier ist eine große Herausforderung für uns. Meine Frau Lola erledigt die Verwaltung. Broome wird in den nächsten Jahren einen großen Tourismusboom erleben.«
    Er erzählte Lily, was ihm vorschwebte, und was die Stadtverwaltung plante. Sie hörte mit einiger Besorgnis zu.
    »Ich hoffe nur, daß die Stadt ihre Tradition und ihre Geschichte nicht ganz vergißt«, sagte sie.
    »Keine Sorge. Broome ist immer noch ziemlich wild und ungezügelt. Die Vergangenheit ist einem hier immer auf den Fersen.«
     
    Lily betrat

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