Tränen des Mondes
einen Besuch abstatten?«
»Eigentlich wollte ich weiter nach Norden, aber dann hielt ich es für besser, hier zu übernachten statt nach Broome zurückzufahren.«
»Hab immer das Schiff nach Broome genommen. Ich fahre nicht mehr Auto. Meine Augen taugen nichts mehr.« Er strich sich über das Gesicht.
»Sie sind mit dem Schiff von hier nach Broome gefahren?«
»Ja, und von Lombadina – sind etwa 150 Kilometer.«
Lily hatte sich auf die Steintreppe vor der Kirche gesetzt und aß ihre Banane, während sie dem Mann zuhörte.
»Einmal komme ich von Broome zurück. Das Meer ist so rauh, es geht immer rauf und runter, turmhohe Wellen. Haben bald eine Woche im Sturm gesteckt. Wir kommen nach Beagle Bay, können aber nicht rein wegen dem Wellengang. Ich steig mit drei Männern in ein Rettungsboot, um über die Brandung zu rudern, zwei Kilometer bis zum Ufer. Aber wir kentern, Boot kippt um, müssen schwimmen. Die Flut kommt hier mit acht Seemeilen die Stunde, das Wasser an dieser Küste steigt dann bis zu zwölf Meter und mehr. Ich bete und schwimme, bete und schwimme, und wir haben es geschafft.«
Triumphierend lächelte er Lily an, die offensichtlich gedacht hatte, mit dem Schiff wäre es leichter, nach Broome zu kommen, als mit dem Auto. Sie mußte ihre Meinung ändern, ohne Zweifel war das Meer ebenso gefährlich wie die Route über Land. Als Bruder Wilhelm seine Geschichte beendet hatte, konnte sie nur bewundernd den Kopf heben.
Den tiefen Falten und Furchen in seinem Gesicht nach zu schließen, mußte der Pater viel älter sein, als sie geschätzt hatte. Er trug ein blaues, kurzärmeliges Hemd, die weiten grauen Hosen wurden von einem abgewetzten Ledergürtel gehalten. Er wirkte ausgesprochen vital, und seine vom Alter leicht wässrigen Augen waren von strahlendem Blau. Sein deutscher Akzent war nicht zu überhören. »Leben Sie hier in der Missionsstation?«
»Ja, schon ziemlich lange. Das da ist meine Kirche.« Er deutete stolz auf das kleine Gebäude. »Gefällt sie Ihnen?«
Lily strahlte. »Ja, sehr! Sie ist einmalig. Erzählen Sie mir von den Muschelschalen. Sie sahen wunderschön aus im Mondlicht.«
Der Pater nickte glücklich. »Hm. Und erst im Sonnenschein. Schauen Sie mal da oben.« Er wies mit ausgestrecktem Finger auf die Kirchturmspitze.
Lilys Blick wanderte am Kirchturm hoch bis zur Spitze hinauf. Sie schloß mit einer kupfernen Kugel ab, die wiederum von einem Kreuz gekrönt wurde. Die Perlmuttverzierungen funkelten im Sonnenlicht.
»Kommen Sie jetzt mal mit hinein und schauen Sie.«
Ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Das Perlmutt schimmerte geheimnisvoll, wie von einem inneren Licht erhellt. Die blaugestrichene Decke des Altarraums war mit Sternen aus Perlen verziert, die im hereinfallenden Sonnenschein aufblitzten.
»Bischof Gibney und die Trappistenbrüder haben hier um 1890 angefangen, in einer primitiven Buschbehausung. Die Kirche wurde im Ersten Weltkrieg gebaut. Die Lehmziegel sind hier gebrannt worden, es gab aber keinen Mörtel. Also haben die Missionare und die Eingeborenen in Handwagen Muscheln vom Strand hergeschafft und sie zwischen Schichten aus Holz verbrannt, um Kalk zu gewinnen. Bruder Droste verdanken wir die Verzierungen aus Perlmutt und aus Muschelschalen. Schauen Sie mal, hier oben über dem Hauptaltar ist der große Perlmuttstern. Der wäre jeder Kathedrale würdig«, schloß Bruder Wilhelm nicht ohne Stolz. Er hatte diese Geschichte schon so oft so vielen Besuchern erzählt, daß er schon beinahe wie eine Schallplatte leierte.
»Und was sind das da für blaue Steine in dem Muster?« wollte Lily wissen.
»Das ist Operculum, das kalkige Innere von Schneckengehäusen. Und hier in die Säulen sind zerbrochene Muschelschalen eingearbeitet. Sie sehen aus wie Opale, wenn sie in allen Regenbogenfarben schillern.«
»Der Krieg scheint nicht bis hierher gekommen zu sein. Die Gegend hier ist ziemlich abgelegen.«
»In den alten Zeiten war hier mehr los. Wir haben Holz für den Bau der Logger verkauft. Und dann haben wir mit viel Geduld und Mühe die Aborigines dazu gebracht, den Busch zu verlassen und ihre Kinder in unsere Schule zu geben. Bald hatten wir auch eine Rinderfarm. Die betreiben sie jetzt in eigener Regie.« Bruder Wilhelm blickte versonnen. »Die ersten Priester und Ordensbrüder hatten damals eine Menge Arbeit. Ich habe heute kaum noch was zu tun. Ich genieße meine alten Tage, halte sonntags die Messe und
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