Tränen des Mondes
den Cable Beach Club in Begleitung von Deidre und ihrem flotten jungen Ehemann. Zu ihrem Leidwesen erinnerte hier gar nichts mehr an die alten Zeiten. Sie wanderten durch einen gepflegt angelegten Garten, und über Miniaturbrücken gelangten sie zu orientalisch anmutenden Bungalows, die mit erlesenen Antiquitäten und Kunstwerken ausgestattet waren. Trotz seines knallroten Lackanstrichs und der Goldverzierungen wahrte das Hauptgebäude noch einen gewissen Stil. Sanfte Beleuchtung, Fackeln, Kerzen und eine leichte Brise voll süßer Blumendüfte aus dem Garten begleiteten sie über die breite Veranda zum Ausstellungssalon.
Die ersten Ankömmlinge aus Broomes gehobener Gesellschaft ergingen sich in dem weitläufigen Raum, nippten Champagner und plauderten angeregt. Deidre war mit dem Verkauf der Kataloge und dem Bekanntmachen von Hotelgästen und Lokalgrößen beschäftigt, und so sah Lily sich alleine um. Sie staunte über die Exponate zeitgenössischer Aboriginekunst – Drucke in ausgefallenen Rahmen, Leinwandgemälde, Wandbehänge aus Tuch oder Rinde. Lily war beeindruckt. Sie fand, daß die Arbeiten etwas Kraftvolles und Mystisches ausstrahlten.
Deidre tauchte an ihrer Seite auf und nahm ihren Arm. »Lily, ich möchte Sie mit der Künstlerin Rosie Wallangou bekannt machen.«
Lily riß sich nur ungern von den Bildern los, um die Künstlerin zu begrüßen. Sie hatte eine weise alte Dame erwartet und war um so mehr überrascht, als sie sich einer etwa gleichaltrigen, ungemein attraktiven Aborigine gegenübersah. Sie trug ein aufregendes langes Gewand aus bedruckter Seide, dazu ungewöhnlichen Schmuck aus Holz und Steinen. Ihr Haar fiel ihr in wilden Locken über die Schultern und wurde auf einer Seite von einem Perlmuttkamm gehalten. Ihr Aussehen, ihr offenes Lächeln, die dunklen Augen und ihr gesamtes Auftreten waren betörend.
»Mir gefällt Ihre Malerei, wirklich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist einfach Magie in ihr.« Lily suchte nach den richtigen Worten, um zu beschreiben, welch starken Eindruck die Bilder auf sie gemacht hatten.
»Magie«, wiederholte Rosie nachdenklich und sah Lily aufmerksam an. »Stimmt schon, es ist Magie in ihr«, fügte sie leise hinzu.
»Man kann die Bilder nicht so leicht verstehen, selbst wenn man Ihre Erklärungen dazu liest«, sagte Lily. »Aber sie haben etwas, was mich nicht losläßt, auch wenn ich nicht sicher bin, was sie bedeuten.«
Rosie kicherte verhalten. »Na ja, vielleicht ist das ja der Zauber. Man muß die Bilder eine Weile auf sich wirken lassen … für sich selber entdecken. Es ist nicht alles aus der
Traumzeit
.«
»Rosie hatte gerade eine große Ausstellung in New York. Die reißen sich da drüben um ihre Bilder«, mischte Deidre sich ein.
»Das ist ja phantastisch«, meinte Lily beeindruckt, aber keineswegs überrascht. Die Malerei war ungemein kraftvoll, und Lily wußte, welchen Stellenwert hochwertige Aboriginekunst mittlerweile weltweit unter Sammlern genoß.
Rosie zuckte die Achseln. »New York ist eine schnellebige Stadt. Was heute hoch gehandelt wird, kann morgen schon passe sein.« Sie lachte unbekümmert, und Lily konnte nicht erkennen, ob Rosie nun darauf pfiff, in New York eine gefeierte Künstlerin zu sein, oder ob sie fest daran glaubte, daß sie ein ›heißer Tip‹ bleiben würde. Ihre Kunst, die in ihrer tiefen Spiritualität und ihrem Wissen wurzelte und großes Talent verriet, würde allen Strömungen zum Trotz bestehen bleiben, daran gab es keinen Zweifel.
Deidre entschuldigte sich, um den ehemaligen Premierminister zu begrüßen, und Rosie nahm Lily am Arm. »Kommen Sie, ich gebe Ihnen eine persönliche Führung zu meinen Lieblingsstücken.«
Lily lauschte gebannt, als Rosie erläuterte, was sie zu ihren Bildern inspiriert hatte. Es war, als ob sich ein Schleier lüftete, denn Lily begann, etwas von der Geschichte und der Botschaft der Bilder zu verstehen. Sie versuchte, Rosie zu schildern, was in ihr vorging, aber sie kam sich so unbeholfen vor. »Ich kann nicht in Worte fassen, was ich empfinde«, bekannte sie zaghaft.
»Aber nein, Sie fangen doch erst an, die Sprache der Bilder zu lernen«, sagte Rosie beschwichtigend. »Je länger man sie betrachtet, desto mehr dringt man in sie ein und beginnt, sie ›zu lesen‹. Oder aber sie bleiben nur Bilder an der Wand.«
Deidre kam, um Rosie zu holen, weil sie sie wichtigen Leuten vorstellen wollte, und Lily dankte ihr, daß sie sich soviel Zeit für sie genommen
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