Tränen des Mondes
Frau der Tat, wenn es darum ging, ihre Situation zu verbessern. Der Verlust des Kindes und die Tatsache, daß ihr Mann sich am anderen Ende der Welt befand, waren für sie Grund genug, sich umgehend zu trösten. Das tat sie mit einem älteren Gutsbesitzer aus Schottland und verließ mit ihm das ungastliche London in Richtung Norden. Das Gasthaus, in dem sie gewohnt hatte, brannte während der Epidemie ab, und einige Menschen kamen dabei ums Leben. Der Gemeindepfarrer unterrichtete Amys Vater von dem tragischen Vorfall und von Amys Verschwinden. Er schrieb ihm, er hoffe, daß sie nicht der Epidemie anheimgefallen sei. Auf einer seiner Zechtouren erzählte Amys Vater seinen Saufkumpanen eine wirre Geschichte über den Tod seiner Tochter. In dieser Nacht fiel er auf dem Heimweg in einen Teich und ertrank. Als Tyndalls nächster Brief in Belfast eintraf, schickte der zuständige Postbeamte die Sendung mit dem Vermerk zurück, bedauerlicherweise seien Amy und ihr Vater ums Leben gekommen.
Da es keine weiteren Familienangehörigen gab, hatte Tyndall auf diese Nachricht hin der Alten Welt den Rücken gekehrt.
Hier war er nun, ein fünfundzwanzigjähriger attraktiver Junggeselle, der im Begriff war, sich vom Weltenbummler zum ehrbaren Bürger dieses neuen Landes zu wandeln, das sowohl Abenteuer als auch einträgliche Geschäfte versprach. Bei den Menschen, mit denen er an diesem Küstenstreifen zu tun hatte, war er wohlangesehen und beliebt. Er konnte eine Nacht im Hafen in Gesellschaft einer Meute Seeleute durchzechen und am nächsten Abend geistreich und charmant auf einer Dinnerparty glänzen, die ein angesehener Geschäftsmann und Vater von ein oder zwei heiratsfähigen Töchtern gab. Auch die sehr reichen Töchter der eher begrenzten besseren Gesellschaft sahen ihn gern zu Gast. Allerdings nicht mit ernsten Absichten. Sie waren fasziniert von seinem guten Aussehen und seiner etwas zwielichtigen Natur und flüsterten sich wilde Geschichten über seine Vergangenheit zu, die eher ihrer Phantasie als den Tatsachen entsprachen.
Tyndall spürte nicht das geringste Verlangen, seßhaft zu werden. Er liebte die See und sein Schiff. Und er liebte seine Freiheit. Tyndall war kein Engel und hatte auf verschiedenen Inseln zwischen Tahiti und Thursday Island mit dunkelhäutigen Schönheiten getändelt. Aber eine Frau seiner Rasse, ihm ebenbürtig und fähig, seine Sinne zu verwirren, war ihm seit der lang vergessenen Amy nicht wieder begegnet. Tief in seinem Inneren wußte er jedoch, daß es irgendwo da draußen eine Frau gab – eine mutige, schöne, anhängliche Frau – die genügend Kampfgeist besaß, es an seiner Seite mit dem Leben aufzunehmen. Ja, auch John Tyndall hatte einen Traum. Aber nach seiner Lebensphilosophie mußte jeder Mann (und jede Frau) für sich allein kämpfen, in der Liebe wie im Krieg.
Die kleine behelfsmäßige Siedlung am Ufer dort erinnerte Tyndall an die merkwürdigen Umstände, unter denen er diese Mrs. Hennessy vor ein paar Tagen angetroffen hatte. Er mußte schmunzeln. Wenigstens würde an diesem Strand hier niemand eine Knarre auf ihn richten. Die Frau hatte Schneid, das mußte man ihr lassen. Aber war sie auch stark genug, um in diesem fremden, rauhen Land zu überleben? Wie die meisten Leute, die aus der Alten Welt herüberkamen, hatte sie sicher nicht die geringste Vorstellung von dem, was sie erwartete. Ihr Mann konnte sich glücklich schätzen, so eine mutige und hübsche Partnerin an seiner Seite zu wissen. Tyndall hoffte, daß es ihr gut ging, und nahm sich vor, auf dem Rückweg nach Cossack am Lager der Hennessys vorbeizuschauen.
Eine leise Bemerkung von Ahmed riß ihn aus seinen Gedanken, und er machte sich bereit, an Land zu gehen.
Auf dieser Insel hatten schon Generationen von Trepangfischern aus Makassar ihre Geschäfte betrieben. Trepang war die Haupteinnahmequelle vieler sulawesischer Fischer, die ihren Fang an chinesische Händler weiterverkauften. Der Monsun trieb die Männer in ihren
praus
von Ujung Pandang in das Land, das sie Marege nannten. Für diese Reise brauchten sie etwa zehn Tage. Sie befuhren immer die gleiche Route mit den gleichen Zwischenstops. Manche
praus
waren mit zwanzig Mann besetzt und segelten sogar bis in die Kimberley See. Im Lauf der Zeit hatten sich ihre Handelsbeziehungen und Kontakte zu den Eingeborenen gefestigt, und jedes Jahr, wenn die südöstlichen Passatwinde einsetzten, fuhren sie wieder in die Heimat zurück.
Die Kapitäne aus Makassar
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