Tränen des Mondes
wett. Nie hätte er gedacht, daß eine Frau wie Olivia ihn nehmen würde, eine Frau von solchem Liebreiz und solch ungeheurem Unternehmungsgeist. Und wo hatte ihn das hingeführt? Mitten in die Wildnis, in ein fremdes, ungastliches Land, mit zwei großen Pferden und einem kleinen Wagen. Schlimmer noch, auf einen Buschpfad, den außer wilden Tieren niemand zu benutzen schien.
Unzählige Male mußte er anhalten und mit einer Axt den Weg freischlagen. Zwei Tage lang hatte er Cossack abgesucht, um nach vielen Verhandlungen dieses kleine Gespann zu erstehen. Jetzt war er nur noch von dem Wunsch beseelt, möglichst rasch zu Olivia zu kommen, die ihn bestimmt schon seit Tagen ungeduldig erwartete. Er schob jeden Gedanken an die anschließende Weiterreise mit seiner hochschwangeren Frau beiseite und trieb die Pferde voran. Gott sei Dank waren es widerstandsfähige und buscherprobte Tiere. Der Fußmarsch hatte sich als viel länger und beschwerlicher erwiesen, als die Karte erahnen ließ. Und nach so manchem Gespräch in Cossack war ihm klar geworden, daß der Nordwesten noch rauher und unzivilisierter war, als er es sich im fernen England vorgestellt hatte. Diese Gegend bot vielleicht Abenteurern, Spekulanten und Pioniergeistern großartige Möglichkeiten. Sie war das Richtige für Männer und Frauen, die alle Härten auf sich nehmen würden, um eine neue Existenz aufzubauen. Conrad aber hatte sich ein ruhigeres Leben, mehr Ordnung und Annehmlichkeiten versprochen. Er hoffte inständig, daß wenigstens das Land, das sie erworben hatten, ihren Erwartungen und den positiven Berichten der Regierung entsprach, die sie letzten Endes zu diesem Unternehmen bewogen hatten.
Conrad war so mit seinen Gedanken und dem Lenken des Gespanns beschäftigt, daß er die Felsbrocken und Baumstämme gar nicht bemerkte, die ihm den Weg versperrten. Auch fiel der Pfad hier plötzlich ab, was er durch das Unterholz und das dichte Buschwerk nicht hatte erkennen können. Ein Pferd geriet ins Stolpern und stürzte. Dabei kippte der Wagen um und brachte auch das andere Tier zu Fall.
Conrad wurde durch die Luft geschleudert und blieb einen Moment lang reglos liegen. Unterdessen gerieten die verängstigten Pferde in Panik. Sie versuchten, sich von ihrer Last zu befreien und auf die Beine zu kommen. Das eine Pferd konnte Conrad retten, das andere mußte er erschießen. Auch der Wagen hatte Schaden genommen, aber die Räder waren noch ganz. Conrad schirrte das tote Pferd aus. Mit dem anderen Tier richtete er den Wagen wieder auf und zog, nach einem Blick auf den Kompaß, entmutigt weiter.
Olivia verging die Zeit nur langsam, doch war sie dabei weder entmutigt noch einsam. Mehrmals am Tag kamen die Aboriginefrauen, meist in Begleitung ihrer Kinder, um nach ihr zu sehen. Als Gegenleistung für Essen und Trinken schien ihnen die Gesellschaft des Babys zu genügen, mit dem sie unter viel Gelächter und Geschnatter spielten.
Es verblüffte Olivia, wie schnell sie nach der Geburt wieder zu Kräften gekommen war. Eines Morgens nahm sie das Baby und folgte den Frauen zu der Fischfalle. Während die anderen den Fang bargen, setzte sie sich in den Sand und sah zu, wie die Strandläufer am Wasser tanzten und die Tölpel nach Fisch tauchten. Die Szene faszinierte sie – alles um sie herum, jedes Geschöpf, fand seine Nahrung. Eine bezaubernde Harmonie der Natur, an der nur sie, als weiße Frau aus einem fernen Land, nicht teilhatte. Fremd zu sein mit dem dringenden Wunsch dazuzugehören war für Olivia eine völlig neue Erfahrung. Sie sann noch lange darüber nach, während sie gedankenverloren ihr Baby streichelte.
Am folgenden Tag ging Olivia gleich bei Ebbe an die Fischfalle und wartete nicht erst auf die Aborigines. Das Baby blieb schlafend im Lager zurück. Sie näherte sich gerade der Mauer, als ein Schwarm Tölpel und Pelikane über den Fang herfielen. Schreiend und ihren Hut wild schwingend, rannte Olivia auf die Mauer zu, während gleichzeitig einige Eingeborene aus dem Busch brachen und ihr unter Rufen und lautem Gelächter folgten.
In diesem Moment kam Conrad mit seinem Gespann über die Düne gefahren. Der Anblick der Eingeborenen, die seine Frau laut schreiend mit Speeren in der Hand verfolgten, versetzte ihm einen Schock. Sollte er etwa mit ansehen, wie seine geliebte Frau vor seinen Augen ermordet wurde? Conrad setzte das Gewehr an und schoß.
Doch der Schuß ging ins Leere, zu sehr wackelten Pferd und Wagen, als sie die Düne
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