Tränen des Mondes
sich eine Ehefrau leisten zu können, die er mit nach Broome bringen würde.
Yoshi war nun Ende Zwanzig, als erfahrener Taucher hatte er noch viele Jahre guter Arbeit vor sich, wenn er Vorsicht walten ließ. Es gab nur wenige Taucher an der Küste, die sich der Gefahren derart bewußt waren wie Yoshi. Er kannte nur eine Regel … nie unnötige Risiken einzugehen. Es gab zu viele Beispiele von Tauchern aus Broome, die nicht achtsam genug gewesen waren. Diese Männer waren heute Krüppel, ihre Körper waren vom Wasserdruck zerstört und entstellt, und die gefürchtete Lähmung hatte sie ereilt, die sie auf Lebenszeit schädigte, wenn sie nicht an ihr starben.
Nach Yoshis Überzeugung ging Tyndall ein unnötiges Risiko ein. Er hatte keinen Grund zu tauchen. Von seinem neuen Boss hätte er eine solche Entscheidung nicht erwartet, und dies beunruhigte ihn. Er hält es für eine Art Spiel, überlegte Yoshi, während er an einem kleinen blauen Porzellanbecher mit heißem Tee nippte. Taki, sein Helfer, hatte ihm den Tee mit fragendem Blick und einem Wink in Tyndalls Richtung gebracht, der dabei war, sich in mehrere Schichten Flanell zu hüllen, während Ahmed sich am Taucheranzug zu schaffen machte. Niah saß achtern im Sarong auf den Bordplanken und lächelte über Tyndalls komisches Gebaren, als er mehrere Lagen Kleidungsstücke übereinanderzog, um der Kälte unter Wasser zu trotzen.
»Yo, ho, ho, Yoshi«, rief Tyndall gutgelaunt. »Ich bin dabei, den Anzug des besten und mutigsten Tauchers im ganzen Nordwesten anzulegen. Wie sehe ich aus?«
Alle an Deck, einschließlich der Malaien, sahen ihn mit undurchdringlicher Miene an. Tyndall wußte, daß er lächerlich aussah – ein Schrank von einem Mann in kunterbunten Lagen aus langen Unterhosen, Flanelltüchern, verschiedenen Unterhemden und mehreren langen Socken, die nicht zueinander paßten. Keiner aber lächelte, bis auf Niah, die in ein freches Kichern ausbrach, das sie mit einer Hand erstickte, was ihr ein schalkhaftes Augenzwinkern von Tyndall eintrug.
Ahmed und Taki halfen Tyndall in den klobigen Taucheranzug aus Segeltuch und Gummi, schnürten dann die schweren, mit Blei beschwerten Stiefel zu und zogen ihm die Handschuhe an. Yoshi achtete vom Kabinendach aus professionell auf jedes Detail, ohne sich aus der Hocke aufzurichten. Erst als die beiden sich daran machten, dem Taucher den Helm aufzusetzen, rührte Yoshi sich von seinem Platz und stellte sich neben Tyndall. Er sah aufmerksam zu, als das Ungetüm aus Messing und Kupfer über Tyndalls Kopf gestülpt und an der verstärkten Halsmanschette des Taucheranzugs festgeschraubt wurde. Ein Kokosseil wurde um Tyndalls Taille gebunden, so daß er es leicht mit der Hand greifen konnte, um Taki von unten Signale zu geben und ebenso Signale von ihm zu empfangen.
Yoshi gab letzte Anweisungen. »Langsam atmen. Nie in Panik geraten. Auf die Arbeit konzentrieren. Keine Zeit für Betrachtungen. Immer aufpassen, wohin man tritt. Nicht vergessen: Einmal am Seil ziehen: mehr Luft, zweimal ziehen: mehr Seil geben, dreimal ziehen: ganz schnell Hilfe holen, dreimal ziehen von oben: ganz schnell aufsteigen.« Sie wiederholten diese Übung einige Male. Tyndall fühlte sich in dem Anzug zunehmend unbehaglich und schwitzte.
Ahmed grinste. »Heute keine Arbeit, Boss. Ihr schaut euch nur unter Wasser um.« Er wußte, daß er Yoshi mit diesen Worten ärgerte, doch der Japaner zeigte keine Reaktion.
»Nein, Ahmed, das ist kein Vergnügen. Ich muß etwas mit nach oben bringen oder ich werde zum Gespött der ganzen Küste.« Er machte einige Schritte auf die Leiter zu und blieb stehen. »He, sollten wir nicht eine Zeremonie oder so was abhalten?«
Alle Taucher waren abergläubisch, und die meisten hatten Glücksbringer bei sich, beteten vor dem Tauchen oder führten ein kleines persönliches Ritual durch, bevor sie auf den Meeresgrund abstiegen. Bei ihren unzähligen Tauchgängen war ihnen immer bewußt, daß jeder einzelne in einem schrecklichen Unfall enden und sie das Leben kosten konnte. Yoshi trug einen kleinen roten
torii
bei sich, zwei einfache Stäbe mit zwei Querstäben am oberen Ende – das shintoistische Symbol für Kraft. Die ersten Geschichten, die er über das Perlentauchen gehört hatte, waren ungeheuerliche Berichte über Teufel, die tief unten im Meer lauerten. Glauben und Gebräuche gab es ja so viele. Man mußte sich stets vor silbernen Fischen in einem Glas verbeugen. Zwei kämpfende Fische bedeuteten, daß
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