Tränen des Mondes
Haie in der Nähe waren. Es war nicht gut, daß der Kapitän vor dem Tauchen Witze darüber machte.
Niah sprang auf und rannte zu Tyndall. Im Laufen nahm sie ihren geschnitzten Perlmuttanhänger ab. Sie streifte ihn Tyndall über den Kopf und schob ihn in den Anzug. Tyndall schaute kurz auf die Schnitzerei und lächelte. Es war ein gutes Omen, sagte er sich, obwohl er nicht genau wußte, warum. Die spontane Geste gefiel ihm.
Nun überprüften die Männer noch einmal den korrekten Sitz des Helms und schraubten die Glasscheiben fest, die man mit Meerwasser gespült hatte, damit sie nicht beschlugen.
Tyndall hob grüßend die Hand, machte einen Schritt rückwärts und ließ sich ins Wasser fallen. Er tastete zum Ventil an seinem Helm. Zischend entwich die Luft aus dem Taucheranzug, und er sank in eine Wasserwelt aus gebrochenem Licht und schimmernden Farben. Sanft kam er auf dem Meeresboden an und stellte rasch das Luftventil neu ein, um den Druck gerade so hoch zu halten, daß sein Körper unter Wasser keinen Schaden nahm, aber auch nicht gleich wieder an die Oberfläche schoß. Er nahm seinen Körper deutlicher wahr als die fremdartige Welt um ihn herum. Er spürte ein schmerzhaftes Kribbeln im Schädel und in den Gelenken, als sein Körper gegen diesen ungewohnten Zustand rebellierte, und hörte das unerwartet laute Zischen seines Atems, das Klickklack der Handpumpe an Deck, das durch den Schlauch nach unten übertragen wurde, und die Blasen, die nach jedem Ausatmen aufstiegen. Als er sich an all das gewöhnt hatte, gab er das vereinbarte Signal nach oben, und der Helfer begann, das Seil auszurollen, so daß er darangehen konnte, seine Unterwasserwelt zu erkunden.
Langsam begann Tyndall, sich auf dem Meeresgrund vorwärts zu bewegen. Seine Bleistiefel wirbelten Sandwolken auf. Umgeben von transparenten Wasserwänden zu allen Seiten, hatte er anfangs das Gefühl, die Orientierung zu verlieren. Er schaute auf den Meeresboden. Es war schmutzfarbener Sand, übersät mit Gestein, Algen und kleinen Korallengebilden, versteinerten Resten von Korallenkolonien. Er war froh, daß es hier nicht das ›Gras‹ gab, von dem die Taucher oft sprachen – das saftige, hellgrüne Seegras, das manchmal den Boden bedeckte und trügerische Löcher, Muscheln und gefährliche Meerestiere verbarg.
Als er sich an den Meeresgrund gewöhnt hatte, entdeckte er allmählich die graubraunen, gelegentlich mit Algen oder versteinerten Korallen bedeckten Muscheln, die meist in Gruppen zusammenwuchsen. Wenn er genauer hinschaute, konnte Tyndall die verräterische kleine Linie im Sand erkennen, wo verborgene Muscheln ›geatmet‹ hatten. Er bückte sich und fing an, Muscheln aufzusammeln, die er in Körbe an einem weiteren Seil legte.
An Deck folgte Taki mittels des Seils, das durch seine Hand lief, Tyndalls tastenden Bewegungen. Ahmed hielt die
Bulan
auf Geradeauskurs und achtete darauf, daß sie dicht am Wind blieb und sich mit dem Heck in der Strömung befand. Um den Kurs zu halten, bediente er sich des Ruders und eines kleinen Bugsegels, denn es galt zu verhindern, daß die
Bulan
zu schnell mit der Strömung abdriftete und Tyndall mitzog.
Niah trat an die Reling und schaute auf die Stelle, wo der Luftschlauch und das Rettungsseil im ruhigen Wasser verschwanden. Als sie sich zu Ahmed umdrehte, bemerkte sie, daß dieser sie eindringlich ansah. Wenn die Mannschaft nicht dabeigewesen wäre, so vermutete sie, hätte er sie bestimmt darauf angesprochen, daß sie die Nacht in Tyndalls Bett verbracht hatte. Sie sah eine Warnung in seinen dunklen Augen und erkannte jäh, daß sie es mit Ahmed zu tun bekäme, würde sie Tyndall je verletzen oder verärgern. In der beginnenden Erkenntnis ihrer Macht über Tyndall hielt sie dem drohenden Blick stand. Dann warf sie herausfordernd den Kopf zurück, riß sich plötzlich mit vollem Lachen den Sarong vom Leib, sprang, nur mit einem knappen Stück Tuch über den Hüften, über Bord und tauchte mit einer geschmeidigen Bewegung ins Meer.
Tyndall war vier bis fünf Faden tief und hielt angesichts der schattenhaften Bewegung am Rand seines Blickfelds den Atem an. War es ein Hai? Als er aber den Kopf drehte, erkannte er Niahs fast nackte Gestalt, einer Sirene oder Meerjungfrau gleich, die mit schnellen Beinschlägen und flutendem Haar auf ihn zuschwamm. Er sah das Leuchten in ihren Augen und streckte unbeholfen eine behandschuhte Hand nach ihren nackten Brüsten aus. Sie warf ihm eine Kußhand zu, ergriff den
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