Traenenengel
, an der es links zu einem Gewerbegebiet ging. Rechts führte die Straße durch ein paar neue Wohnsiedlungen, bis sie am Ortsausgang
in die Bundesstraße überging, die nach Pokritz führte. Die Straße, die direkt am Telpener Badesee vorbeiging.
Sälzer spürte ein Pochen in der Nierengegend. Wohin fuhr Hagen Gerlinger mit Trixi? Wieso war sie überhaupt zu ihm ins Auto
gestiegen? Was hatte Hagen vor? Was, wenn er ... Sälzer fuhr sich mit der Zunge über einen Backenzahn und starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die Straße. Würde
Hagen Gerlinger es tatsächlich tun? Würde er zum See fahren und ...? Ein zweites Mal. Am hellichten Tag?
Sälzer schüttelte innerlich den Kopf. Es schien ihm vollkommen absurd, vollkommen irrsinnig. Aber sollte Hagen Gerlinger wirklich
einer religiösen Wahnvorstellung unterliegen, sollte das der Grund für die Tat sein, dann war auch denkbar, dass er nicht
warten konnte, bis sich wieder nachts ein Mädchen alleine an den See setzte. Was nicht mehr so schnell geschehen würde.
Sälzer sah zum Himmel. Die Wolken waren jetzt dunkelblau, wie gewaltige Wasserbomben kurz vorm Platzen. Bei dem Wetter würde
kein Mensch am See sein. Instinktiv trat er aufs Gaspedal. Er fuhr an dem ersten Wohngebiet vorbei und bog dann nach rechts
ab, folgte der Straße Richtung Ortsausgang.Trotz des aufheulenden Motors hörte er ein Grollen über sich. Die tiefblauen Wolken schoben sich übereinander, träge von den
flüssigen Massen, die sie in sich trugen. Sie verdunkelten den Tag so sehr, dass Sälzer das Licht einschalten musste.
Eine ganze Weile war Sälzer allein auf der Straße. Als hätte das nahende Unwetter alle Leute verschlungen. Doch kurz bevor
er das Ortsausgangsschild erreicht hatte, sah er die Rücklichter eines Autos. Auf die Entfernung konnte er nur erkennen, dass
es dunkel war. Sälzer gab Gas, hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten. Am Ortsausgang, dort,
wo die Bundesstraße anfing, machte die Straße eine Kurve und der Wagen verschwand aus Sälzers Blickfeld.
Sälzer fuhr mit schlingernden Reifen um die Kurve. Von da an bildete die Bundesstraße eine lange Gerade. Eine leere Gerade.
Das Auto war weg. Sälzer starrte auf den dunklen Beton, sah nach rechts und links, während er weiterfuhr. Ein paar Meter nach
der Kurve kam links eine Tankstelle, rechts ging die Einfahrt zum Parkplatz vom See ab. Sälzer trat auf die Bremse und bog
auf den Parkplatz. Er hielt an und starrte auf den von Bäumen begrenzten Kiesplatz. Er war leer.
Sälzer legte beide Arme auf das Lenkrad und stützte sein Kinn auf die Hände. Ein paar Sekunden saß er so reglos da. Er wollte
gerade das Handy nehmen, als er hinter sich Kies knirschen hörte. Hastigfuhr er herum und stieß sich das Knie am Schaltknüppel.
Hinter ihm rollte langsam ein dunkelblauer VW auf den Parkplatz. Er hatte die Scheinwerfer an und Sälzer konnte die Insassen
nicht erkennen. Er wusste ohnehin, wer sie waren. Einen Augenblick sah es so aus, als würde der VW direkt auf Sälzers Dienstwagen
zurollen. Im letzten Moment änderte er die Richtung, fuhr auf dem Parkplatz weiter nach rechts und blieb in einer Ecke unter
einem großen Ahornbaum stehen. Das Licht und der Motor gingen aus. Niemand stieg aus.
Sälzer wartete ein paar Sekunden. Dann öffnete er die Fahrertür. Der Kies knirschte unter seinen schweren Schuhen, als er
mit langsamen Schritten auf den dunkelblauen VW zuging. Die ersten Regentropfen fielen. Dick, schwer und weich, wie Kerzenwachs.
Er trat an die Fahrertür heran, beugte sich leicht hinunter.
Hagen Gerlinger bemerkte ihn nicht. Er suchte etwas in einer Tüte mit dem Aufdruck der Tankstelle gegenüber und hatte sein
Gesicht der Beifahrerin zugewandt.
Sälzer riss die Fahrertür auf. »Steig aus.«
Hagen Gerlinger erstarrte in seiner Bewegung und sah den Polizeihauptmeister an, als wäre er ein Zombie.
Trixi war auf dem Beifahrersitz zusammengezuckt. »Was soll das? Haben Sie noch alle?« Als Trixi denPolizeihauptmeister erkannte, fügte sie hinzu: »Ich meine, können Sie uns nicht vorwarnen, statt einfach die Tür aufzureißen,
als wären Sie auf Verbrecherjagd?«
»Bin ich«, erwiderte Sälzer und ließ Hagen Gerlinger dabei nicht aus den Augen. »Steig aus.«
Hagen Gerlinger drückte Trixi die Tüte in die Hand und stieg aus.
Trixi zögerte einen Moment, dann stieg sie ebenfalls aus. Sie blieb auf der anderen
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