Träum ich?: Roman (German Edition)
Burnswurst geworfen hatte.«
»Alle angesehenen Leute kauften in der Bäckerei Burnswurst«, fügt Selma hinzu.
»Oh ja, es war die erste Adresse für Brot und Kuchen.«
»Hermann war reich.«
»Nun wurde bekannt, dass Hermann auswandern wollte: nach Amerika. Hermann hatte große Pläne. Er wollte eine ganze Kette von Bäckereien eröffnen und wusste, dass er damit in Amerika erfolgreich sein konnte. Er hatte zwei Fahrkarten für den Nachtzug nach Holland gekauft, den er eine Woche später mit Emmalina nehmen wollte. Von dort aus sollte es dann mit dem Noordam-Dampfer nach Amerika gehen. Es hieß auch, dass er Emmalinas Vater um ihre Hand gebeten und dieser freudig eingewilligt habe.«
»Und, was hat das mit mir zu tun?«, unterbreche ich sie.
»Bitte, Lily, könntest du aufhören, ständig dazwischenzureden?«, sagt Selma mahnend. »Du störst den Fluss der Geschichte.«
»Danke, Selma«, sagt Dolly nickend. »Also, Emmalina war wahnsinnig in Hermann verliebt. Kein Wunder! Er sah gut aus, war klug und erfolgreich. Und Hermann war von Emmalina ebenso angetan. Die beiden gaben ein prächtiges Paar ab. Das sagten alle …«
»Alle außer Emmalinas älterer Schwester«, wirft Selma ein.
»Astrid.«
»Und Astrid war meine …«
»Ururgroßmutter, ja«, bestätigt Selma. »Astrid war ein Mädchen, das jeden haben, aber keinen halten konnte.«
»Sie war schon zwanzig, in den Augen der meisten also eine alte Jungfer«, erklärt Dolly. »Man sagt, Astrid habe eine ziemliche Wirkung auf Männer gehabt. Sie war auch hinreißend: üppig, mit sinnlichen Kurven, mit glutvollen Augen und einer Gabe, sich vorteilhaft anzuziehen. Sie war mit Abstand das hübscheste Mädchen in ganz Lockwunden und alle wussten es. Doch das Aussehen war nicht das Problem, es war ihr Charakter.«
»Eine Schande«, sagt Selma und verzieht das Gesicht. »Wenn der anders gewesen wäre …«
»Du musst wissen, dass Astrids Geburt schwierig gewesen war, und der alte Krumpke schwor, wenn seine Tochter gesund zur Welt käme, würde er ihr alles geben, was sie sich nur wünschen konnte. Das Ergebnis war, dass Krumpke seine älteste Tochter verwöhnte und Emmalina immer in ihrem Schatten stand. Astrid kleidete sich stets nach der neuesten Mode, während Emmalina ihre alten Kleider auftragen musste. Astrid schlief auf dicken Daunendecken, Emmalina auf einer Strohmatratze. Männer wollten sich zuerst nur mit Astrid treffen, und sie ging bereitwillig mit ihnen aus, aber als sie bemerkten, wie verwöhnt sie war, suchten sie das Weite.«
»Wer lässt sein eines Kind auf Daunen und das andere auf Stroh schlafen? Das waren doch Rabeneltern!«
»Wenn du selbst erst mal Kinder hast, wirst du es schon verstehen«, wirft Selma ein.
»Emmalina hingegen hielt sich immer still im Hintergrund. Sie beklagte sich nie, dass ihre größere Schwester bevorzugt wurde. Sie beklagte sich nicht über ihre Kleider oder ihr unbequemes Bett. Das musste sie gar nicht. All das war unwichtig. Denn Emmalina hatte etwas, was Astrid nicht hat te: einen Mann, und zwar nicht irgendeinen, sondern einen Mann mit großen Träumen.«
»Natürlich war Astrid von Neid zerfressen«, fährt Selma fort. »Hermann war der einzige Mann in Lockwunden, der sich nie für sie interessiert hatte. Er war zu sehr in Emmalina verliebt und hatte nur Augen für sie. Und genau aus diesem Grunde war Astrid heimlich in ihn verliebt.«
»Mir ist immer noch nicht klar, was das mit mir zu tun hat.«
»Dazu kommen wir noch«, erklärt Dolly ärgerlich.
»Erzähl weiter«, sagt Selma beschwichtigend.
»Danke«, erwidert Dolly und holt Luft. »Einen Tag vor ihrer Abreise aus Österreich stand Emmalina in der Küche und bereitete das Geschenk für ihren zukünftigen Gatten vor. Emmalina konnte selbst ausgezeichnet backen und hatte sich ein Rezept für Schokoladenkekse ausgedacht. Als sie bemerkte, dass sie keine Kuvertüre mehr hatte, nahm sie etwas von der Bitterschokolade, die Hermann ihr einmal geschenkt hatte, und gab sie stückchenweise in den Teig. Doch aus dem Ofen kamen Kekse, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: Die Schokolade war nicht geschmolzen, sondern in Stücken geblieben.«
»Ist das zu glauben?«, ruft Selma aus. »Deine Ururgroßtante hat die in Amerika so berühmten Chocolate Chip Cookies erfunden!«
»Aber ihr hasst diese Kekse! Wir hatten nie welche im Haus. Als ich klein war, musste ich sie immer einschmuggeln und unter meinem Bett verstecken.«
»Wenn ich das gewusst hätte,
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