Traeum weiter Baby
Hemdes nervös zurechtzupfte, während er hinunterguckte. Er schien auf jemanden zu warten. Die Gasse quoll vor Leuten über, die aussahen, als kämen sie gerade von einem Mode-Shooting für die ›Vogue‹. Sie schoben sich grüppchenweise durch den |215| engen Schlauch und unterhielten sich lauthals. Um von meiner Loge aus ein bißchen am Nachtleben teilzuhaben, köpfte ich den Campari aus der Minibar und steckte meine letzte Zigarette an. Direkt unter mir stand eine Clique junger Männer in Tommy-Hilfiger-Uniformen. Ihre perfekt frisierten Köpfe drehten sich nach jeder schönen Frau um, die vorbeilief. Da alle Frauen in dieser Gasse gut aussahen, waren die Köpfe ständig in Bewegung.
Als die Zigarette zu Ende war, ging ich unter die Dusche, danach schaltete ich die Glotze an.
Zwei fette Männer rangen miteinander. Einer der Klöpse hatte den anderen im Würgegriff und stellte ihm ein Bein, so daß dieser wie ein Sack Mehl auf die Matte schlug. Auf dem anderen Kanal hielt man ebenfalls nicht viel von gepflegter Kommunikation. Ein Priester und zwei Frauen in Bikinis stritten sich so heftig, daß die Moderatorin, eine Wasserstoffblondine in einem pinkfarbenen Kleid, sich dazwischenwerfen mußte, um einen Mord vor der laufenden Kamera zu verhindern. Ich fragte mich, welches Programm die Leihoma wohl heute abend guckte? Mich interessierte keines, deshalb nahm ich mein Buch und guckte, was Beatrice so trieb.
Ich mußte eingeschlafen sein, denn ich bemerkte erst, daß Sascha zurückgekommen war, als er sich neben mich aufs Bett fallen ließ. Ich war froh, daß er wieder bei mir war, und streichelte ihn schlaftrunken über Moritz hinweg.
»Laß das bitte!«
Sascha schob meine Hand weg und drehte mir den Rücken zu.
»Wie war dein Treffen? Es hat ja doch etwas länger gedauert?«
»Jetzt mach mir bloß keine Vorwürfe«, sagte Sascha in die Dunkelheit.
Seine Stimme hörte sich verändert an. Schlagartig war ich hellwach. Ich sah unsere Wohnung, Sascha, den Alien, |216| der in der Küche stand und über das Kinoprogramm ausflippte. Ich blieb bewegungslos unter der Decke liegen und starrte in die Dunkelheit.
Das Fenster war offen und umrahmte das gegenüberliegende Haus, als wäre es ein Ölgemälde einer venezianischen Szene aus einem vergangenen Jahrhundert. Das Bild war in matten Farben gehalten, hauptsächlich silber, braun und blau. Über der Stadt lag ein Schleier aus Nebel. Eine Gondel schaukelte auf dem Kanal, schwarz und schwer, wie ein fetter Käfer. Der fette Käfer versuchte, sich einen Weg durch den Nebel zu bahnen. Er kam direkt auf mich zu.
Ich schloß meine Augen und öffnete sie wieder. Eine Armee von Käfern krabbelte auf mich zu. Mechanisch knipste ich das Licht an.
Das Haus war verschwunden. Sascha schlief tief und fest. Es gab keine Gondelkäfer in unserem Zimmer. Kein Grund zur Panik, ich mußte einfach nur schlafen.
Wie spät war es überhaupt?
Ich griff nach meinem Handy. Es war halb drei. Früh genug, um wieder einzuschlafen, dachte ich beruhigt. Ich knipste das Licht wieder aus.
In dem Moment piepste Saschas Handy. Er hatte eine SMS bekommen. Und plötzlich waren sie wieder da, die Gondelkäfer. Mein Herz raste. Warum hatte Sascha sich nicht gemeldet? Und von wem bekam er mitten in der Nacht eine SMS?
Um Sascha und Moritz nicht aufzuwecken, tastete ich in der Dunkelheit nach dem Handy und ging damit ins Bad. Die SMS war von Doro, die wissen wollte, ob alles klarlief. Sascha solle zurückrufen. Ich merkte, wie Wut in mir hochstieg. Diese Frau war eine verdammte Klette. Was ging es sie an, ob in Saschas Urlaub alles klarlief? War die Tatsache, daß er mit mir verreist war, nicht ein deutliches Zeichen, daß sie uns in Ruhe lassen sollte? Ich |217| drückte auf Löschen und ließ die dumme Frage verschwinden. Hier ist kein Platz für dich, Dorogondelkäfer!
Als ich wieder ins Bett zurücktapste, schlugen die Kirchturmglocken. Es klang gespenstisch.
»Du schläfst ja gar nicht«, murmelte Sascha, »hab ich dich geweckt, als ich reingekommen bin? Ich war extra ganz leise, damit du nichts mitbekommst!«
»Ich hab auch nichts mitbekommen.«
»Dann ist ja gut.«
»Doro hat dir ’ne SMS geschickt«, sagte ich.
Saschas Schatten schob sich ganz kurz vor das Bild mit dem Haus, dann ließ er sich wieder aufs Bett fallen.
»Seit wann liest du meine Nachrichten?«
»Sie wollte wissen, ob alles klarläuft.«
Lief denn alles klar? Ich war mir auf einmal nicht mehr sicher und hoffte, daß
Weitere Kostenlose Bücher