Traeum weiter, Mann
Steff, das bezahlt der Auftraggeber, und der ist reich genug.«
Sie überlegt. »Wir spenden es.«
»Okay, an wen?«
Steff zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung.«
»Schulen in der Dritten Welt, Anti-AIDS, Obdachlose, Straßenkinder in Rumänien?«
»Jeder bekommt ein bisschen«, schlägt sie vor.
»Ich muss mich bei dir entschuldigen«, sagt Gerald.
»Weswegen?«
»Ich war im Hotel vollkommen von der Rolle.«
Ihre Haarsträhne löst sich erneut hinter ihrem Ohr und fällt auf ihre Wange, wo sie sie einfach lässt.
»Ach was.«
»Nee, wirklich.«
»Ich hätte besser den Abend mit dir verbracht«, sagt Steff. »Der Rundflug war zwar toll, aber der Typ war ein Idiot.«
Das freut Gerald natürlich.
Dass er noch heute Morgen aus dem Möwenwind abhauen wollte, hat er längst vergessen.
Steff schiebt ihre Haarsträhne wieder hinter das Ohr.
»Aber Nyhavn war gut, oder?«, sagte er. Für den Bruchteil einer Sekunde lang überlegt er, ob er damit herausrücken soll, dass Kopenhagen von vorne bis hinten eine getarnte Werbeveranstaltung war.
»Ja«, sagt sie, ohne dass herauszuhören ist, wie gerne sie sich wirklich erinnert. Sie ist halt vorsichtig, was er gut verstehen kann, nach seinem dämlichen Ausfall im Hotel. Wenn er weiter redet, wird es äußerst heikel. Aus seinem Mund kommen dann vielleicht Liebesbekenntnisse, die er besser für sich behalten hätte.
Beide schweigen.
Ein Schweigen, das immer drängender nach Erlösung sucht, je länger es dauert. Normalerweise ist genau das die Stille vor dem ersten Kuss.
Gerald hält es nicht mehr aus.
»Magst du singen?«, fragt er.
Steff kichert befreit los. »Singen?«
»Was ist das peinlichste Lied, was du kennst?«
Sie fängt leise an: »Eisgekühlter Bommerlunder, Bommerlunder eisgekühlt ...«
Gerald lacht. »Bei dir klingt das wie das Friedenslied einer Polit-Aktivistin!«
»Und deins?«, fragt sie und zieht neugierig eine Augenbraue hoch.
Ihm fällt, warum auch immer, sofort seine Konfirmation ein. Er singt so laut er kann: »Danke für diesen guten Morgen, danke für diesen neuen Tag ...«
Steff stimmt mit ein: ... danke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag.«
Sie lachen beide und schweigen plötzlich wieder.
Bei Gerald platzen alle Sicherungsschrauben gleichzeitig heraus: Er möchte mit ihr schlafen, sofort! Aber noch sitzen sie sich im Schneidersitz gegenüber, und es ist zu kalt dafür.
»Was für ein wunderbarer Tag. Und keiner zu sehen. Stell dir mal vor, wie es wäre, wenn wir beide jetzt die einzigen Menschen auf der Welt wären ...«
Seine Lippen sind nicht mehr als einen Meter von Steffs entfernt.
»Würde ich gerne«, erklärt Steff lächelnd und steht auf. »Aber mir wird echt zu kalt.«
Schweigend gehen sie an der Wasserkante zurück, nicht mal den Champagner haben sie geöffnet. Gerald hätte gern Steffs Hand genommen, aber er hat die Arme voll mit Isomatten und dem Schlafsack. Er ist plötzlich absolut zuversichtlich: Steff braucht offensichtlich Zeit, die soll sie bekommen! Er wird für sie da sein, sie zeigt ja überdeutlich, dass sie zu ihm will.
Und er zu ihr, das ist das Wichtigste!
Gerald ist froh, dass er sich über seine Gefühle klar geworden ist. Fast hätte er die Nähe zu Steff abrupt beendet, weil er viel zu früh aufgeben wollte. Er mag sich gar nicht vorstellen, was ihm da entgangen wäre!
Vor der Pension wartet schon wieder der blöde Deuters – wie eine Schmeißfliege auf dem Mist! Es wird Deuters krank machen, ihn mit Steff zu sehen. Der kann Bestseller schreiben so viel er will, Steff interessiert das nicht.
»Hey, Heiner, schön dich zu sehen«, haucht Steff und umarmt ihn. Was für Gerald der komplett falsche Text ist.
Sie gibt Deuters einen zärtlichen Kuss auf die Wange, er fasst zärtlich an ihren rechten Oberarm.
»Steff, mein Liebes ...«
Gerald schießt das Blut in den Kopf: Ist da in seiner Abwesenheit etwas gelaufen zwischen den beiden? Er fühlt etwas in sich aufsteigen, das noch stärker als die Liebe ist: Es ist der blanke Hass!
15
Clowns im Billy-Regal
Auch Heiner schießt das Blut in den Kopf.
Nicht vor Scham. Nicht vor Wut. Sondern vor Stolz und Schadenfreude.
Das erste Mal, dass ihm dieser Schöning nach so langer Zeit wieder über den Weg läuft. Und was passiert?
Steff küsst ihn, Heiner, auf die Wange und duzt ihn, der Beweis für ihre neu entdeckte Zuneigung.
Da kann der Kerl noch so böse gucken, denkt Heiner, Steff gehört jetzt ihm. Auf eine Art und
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