Traeum weiter, Mann
Sauerstoff aufgeladen, die Akkus sind wieder voll, so frisch hat er sich lange nicht mehr gefühlt. Gerald beschließt in diesem Moment, sich auf seinem Grundstück einen kleinen, regensicheren Unterstand zu bauen. Den wird er mit Stroh auspolstern, so kann er immer draußen übernachten, mit seinem Schlafsack ginge das das ganze Jahr über. Warum soll man das nur in Ausnahmesituationen genießen?
Langsam schält er sich aus dem Schlafsack, was erst einmal einen Kälteschock zur Folge hat, es ist draußen nicht mehr als zehn Grad.
Er schaut aufs Wasser.
Alles in ihm schreit »Nein«!
Aber sein Wille ist stärker.
Gerald reißt sich die Klamotten vom Leib und rennt nackt ins Meer. Das Wasser ist viel kälter als erwartet, es tut richtig weh, er taucht einmal unter, schwimmt drei schnelle Züge und jauchzt laut gegen den Schmerz. Erst als er aus dem Wasser läuft, fällt ihm ein, dass er gar kein Handtuch dabei hat, nicht einmal im Rucksack. Also sprintet er nackt mit dem Schlafsack und seinen Klamotten unter dem Arm zu seinem flaschengrünen Landrover, der hinter dem Strand neben einem Sanddornbusch parkt. Ihm wird es fies kalt, auch von innen, da ist mit Willen nichts mehr zu machen. Mit zitternden Händen fingert er den Autoschlüssel aus der Hose, die über seinem Arm hängt, steigt ein und schaltet den Motor ein. Drinnen trocknet er sich mit seinem T-Shirt vom Vortag ab, dann zieht er sich an. Es dauert ewig, bis die Heizung einigermaßen warm ist, aber dann ist es gut.
Bis auf den Hunger.
Gerald fährt los und kauft an einer einsamen Esso-Tankstelle auf freier Strecke ein Baguettebrötchen mit Tomate und Mozarella, dazu trinkt er einen Kaffee. Neben dem Nachtschalter ist ein Geldautomat, aus dem er 500 Euro zieht, 400 davon sind das Honorar für Steff. Sein Plan ist klar: Er wird in die Pension Möwenwind fahren, Steff auszahlen und seine Sachen packen.
Der Erste, den er auf dem Parkplatz sieht, ist ausgerechnet Heiner Deuters, der ihn blöde anglotzt und ihn mit einer unbeholfenen Handbewegung mürrisch grüßt. Deuters steigt gerade in seinen langweiligen Golf und fährt zum Glück vom Hof. Müssen Schriftsteller eigentlich nie arbeiten? Oder hängen die tagsüber ab und schreiben nachts 40 Seiten die Stunde? Deuters jedenfalls scheint das Arbeiten nicht erfunden haben.
Egal, er wird ihn nicht vermissen.
Gerald will am liebsten ungesehen in sein Zimmer huschen und seine Sachen packen. Aber wie heißt das jüdische Sprichwort? Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, mache einen Plan: Der zweite Mensch, der ihm drinnen über den Weg läuft, ist ausgerechnet Steff! Er bekommt sofort einen trockenen Mund. Sie trägt ein voll beladenes Tablett mit Frühstücksgeschirr in der Hand, was sie sofort abstellt, als sie ihn sieht. Ihre Wangen laufen rot an. Der letzte Kontakt zu ihm war der Brief, den sie an der Rezeption des »Scandic Webers« hinterlassen hat.
»Gerald! Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wo hast du nur gesteckt?«
»Och, so dit und dat«, antwortet er, als sei das eine ausreichende Erklärung.
Steff fragt nicht weiter nach.
»Hast du etwas Zeit?«, flüstert er leise. »So in einer Stunde?«
Steff zögert.
»Ja, gut.«
Zwei Stunden später sitzen Gerald und Steff am Strand. Steff hat einen Picknickkorb und seinen Entendaunenschlafsack dabei, Gerald hat seine Isomatten aus dem Landrover geholt. Sie setzen sich zwei Armlängen voneinander entfernt im Schneidersitz gegenüber, als hätten sie etwas zu verhandeln. Gerald fühlt sich in seiner Allwetterjacke ausreichend gewärmt, seine Haut fühlt sich nach dem morgendlichen Bad immer noch gut durchblutet an. Steff trägt einen dicken dunkelgrünen Skianorak und wirft seinen Schlafsack über ihre Schulter. Ihre blonden Haare fallen ihr immer wieder ins Gesicht, ihre hellgrünen Augen mustern ihn neugierig. Steff holt eine Flasche Champagner aus dem Korb. Gerald schiebt ihr 400 Euro in Hundertern rüber. Es ist zwar absurd, aber die Kopenhagen-Farce muss endgültig zu einem Abschluss gebracht werden.
Steff starrt auf die Geldscheine, als seien es tote Kleintiere.
»Ich will das nicht, steck es wieder ein.«
Gerald schiebt die Scheine noch etwas näher an sie heran.
»Bitte nimm sie.«
»Nein.«
»Ich möchte es aber.«
Steff streicht sich eine Haarsträhne hinters rechte Ohr.
»Und ich möchte nicht für etwas bezahlt werden, wofür ich nichts getan habe.«
»Du hast eine Menge Zeit geopfert, vergiss das nicht. Sei nicht blöd,
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