Traeum weiter, Mann
geworden, wie ich hörte. Wir haben uns über zwanzig Jahre nicht gesehen. Könnten Sie mir freundlicherweise sein Pseudonym verraten?«, flötet Gerald dagegen.
»Mickey Spillane.«
»Mickey Spillane?«
»Ja. Rufen Sie am besten in zwei Tagen noch einmal an, dann ist er wieder da. Entschuldigen Sie mich bitte.«
Sie legt auf.
Gerald schaut ratlos durch die Scheiben des Wintergartens auf die blaue Ostsee. Der Name Mickey Spillane kommt ihm irgendwie bekannt vor. Wieso gibt sich Heiner Deuters ein englisches Pseudonym? Weil sich damit im internationalen Literaturgeschäft besser Geld verdienen lässt? Zählt Deuters zu den großen Abräumern wie Ken Follet und Dan Brown?
Die Pension Möwenwind passt nicht dazu.
Oder passt sie gerade, weil sie eigentlich nicht passt?
Nachdenklich schlendert er zu seinem flaschengrünen Landrover, der ist wenigstens verlässlich, nimmt ihn überall mit und kommt überall durch, auch in schwerem Gelände. Gerald zückt sein Handy und googelt Deuters΄ Pseudonym, mal sehen, was er für Bücher verfasst hat. Vielleicht ist es ja etwas Perverses, was Steff abschreckt, wer weiß.
Was auf dem Display erscheint, ist tatsächlich ein Schock, aber ganz anders als gedacht: Frank Michael ›Mickey‹ Morrison Spillane (*9. März 1918 im New Yorker Stadtteil Brooklyn; †17. Juli 2006 in Murrells Inlet, South Carolina) war ein US-amerikanischer Krimischriftsteller und Comictexter. Maria Butenschön hat ihn einfach nur verarscht. Eine Viertelstunde später biegt Gerald auf die sechsspurige Piste Richtung Hamburg. Auf der freien Strecke peitscht er seinen kantigen Landrover auf 150, der Diesel brüllt in Höchstlautstärke. So sehr er seinen »Defender« liebt, so gerne hätte er jetzt einen Porsche, der ihn in Rekordzeit nach Hamburg trüge. Gerald will es endgültig wissen: Wer ist Heiner Deuters? Und wie lautet sein wirkliches Pseudonym?
Hinter der Lärmschutzwand taucht auf einem Turm das Logo der Marmeladenfabrik »Schwartau« auf, Gerald merkt, dass sein Magen grummelt, er hat immer noch nicht gefrühstückt. Trotzdem kann er jetzt auf keinen Fall Zeit mit Kaffee und Brötchen verplempern, aus demselben Grund hat er auf das Duschen verzichtet. Was er riecht, ist Jagdschweiß, der gefällt ihm genauso wie sein unrasiertes Gesicht.
Dies ist die zweitspannendste Fahrt seines Lebens. Das heißt, sie hat sogar das Zeug dafür, Platz 1 neu zu besetzen. Der wurde bislang von der aus dem Kieler »Hinterhof« gehalten, als er noch Schüler war. Er hatte mit seiner Clique dort die ganze Nacht getanzt, und als die Disco schloss, schlug er vor, direkt vom »Hinterhof« nach Paris zu fahren. Ronny, Sandra und »Miele« schauten ihn an, als ob er zu viel getrunken hätte, was nicht der Fall war. Immerhin mussten sie am nächsten Morgen zur Schule.
Sie fuhren trotzdem.
Jede Stadt, die auf den blauen Autobahnschildern an ihnen vorbeizog, wurde gefeiert wie ein magischer Ort: Bremen, Osnabrück, Köln, Aachen, Liège, Valenciennes. Am frühen Nachmittag standen sie auf der Place de la Concorde und tranken billigen Rotwein. Sie hatten es tatsächlich gemacht, das war Paris! Sie rannten noch ein paar Stunden durch die Straßen, bis sie todmüde in ein Nullsternehotel wankten und dort zu viert auf einem Doppelbett bis zum nächsten Morgen pennten.
Hamburg-Jenfeld ist nicht ganz so pittoresk wie der Place de la Concorde. »Studio-Hamburg« liegt gleich hinter einem sozialen Brennpunkt der Stadt mit dem üblichen Ensemble aus öden Hochhäusern und Billigmärkten. Die vierspurige Straße verspricht an keiner Stelle, dass sie zum Film führt. Allein das kitschig-mexikanisch aufgemachte »Café del sol« neben dem Besucherparkplatz wirkt auf Gerald wie eine Filmkulisse. Es ist aber echt. Ansonsten gibt es nur triste Bürobauten zu sehen. Statt einer großen Filmfirma könnte hier auch die Verwaltung einer Gabelstaplerfabrik sitzen, aber was hat er auch erwartet? King Kong in Hausgröße am Eingang, James Bond als Wachmann?
Gerald parkt frech vor der Schranke und geht in die Pförtnerloge.
»Moin«, ruft er laut hinein.
»Moin«, antwortet ein älterer Wachmann, der mit seiner roten Knollennase und dem gebeugten Rücken wie der gebrechliche Großvater von Indiana Jones aussieht.
»Einmal der Holstein-Kurier für Maria Butenschön«, nölt Gerald in gelangweiltem Singsang, als fahre er jeden Tag hier durch.
»Kannst du mir geben«, bietet der Pförtner an. »Kommt gleich in die Hauspost.«
Und
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