Traeume aus der Ferne
habe.«
Nun verstand ich gar nichts mehr. Mir schossen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Aber ich konnte sie nicht in Worte fassen. Statt dessen starrte ich Linda ungläubig an.
Gerade, als ich den Mund aufmachen wollte, hob sie ihre Hand.
»Sag nichts. Ich glaube, es ist an der Zeit für eine Erklärung. Dazu muss ich allerdings etwas ausholen. Im Laufe der Zeit . . . ich meine während unserer Freundschaft, da habe ich gemerkt, dass ich mehr für dich empfinde. Ich hatte mich in dich verliebt. Aber ich hatte Angst davor, es dir zu sagen. Ich dachte, wenn du nicht genau so empfindest, würde das unsere Freundschaft belasten und ich würde dich vielleicht ganz aus meinem Leben verlieren. Also habe ich erst einmal geschwiegen und einfach deine Nähe genossen. Doch irgendwann habe ich gemerkt, dass ich das einfach nicht mehr aushalte. Ich musste mit dir reden. Das war ein paar Wochen bevor du mir deine Liebe gestanden hast.
Ich wollte dich zu einem Picknick entführen und dir da alles sagen. Allerdings hatte ich an dem Tag einen Arzttermin. Vielleicht kannst du dich daran erinnern, dass ich damals eine Phase hatte, in der es mir nicht sonderlich gutging, und ich mich deshalb von Kopf bis Fuß untersuchen ließ. An diesem Tag sollte ich die Ergebnisse bekommen. Ich war mir sicher, dass nichts dabei herauskommen würde. Ich hatte den Picknickkorb schon im Wagen, als ich beim Arzt war. In Gedanken war ich längst bei dir. Ich träumte davon, dass du mir in die Arme fallen und mir ebenfalls deine Liebe gestehen würdest.«
Während der gesamten Zeit, in der Linda erzählte, hatte sie ihre Tasse angestarrt. Nun blickte sie kurz auf und sah mir ins Gesicht.
Wir lächelten uns beide an.
»Aber es kam ganz anders«, sprach sie weiter. »Inmitten meiner Träumereien vernahm ich plötzlich ein grausames Wort: Brustkrebs. Der Arzt sah mich durchdringend an und fragte mich, ob ich alles verstanden hätte. Ich schüttelte wie betäubt den Kopf. Was folgte, war eine unendlich grausame und unwirkliche Zeit, in der mir der Arzt meine Krankheit und die Heilungschancen ausführlich darlegte.«
»Oh mein Gott, Linda!« Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen schossen.
»Nicht weinen«, sagte Linda und legte ihre Hand auf meine. »Es geht ja noch weiter.«
Sie zog ihre Hand wieder zurück, nahm einen Schluck Kaffee und hielt mir schüchtern ihre leere Tasse hin. Ich verdrehte gespielt die Augen und holte ihr Nachschub.
»Danke.«
Während sie den Zucker verrührte, sprach sie weiter.
»Ich brauchte einige Tage, um den ersten großen Schock zu verdauen. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Mein größter Wunsch war es, zu dir zu laufen und mich in deinen Armen auszuweinen, dir von meiner Liebe und von meiner Krankheit zu erzählen. Aber ich wollte nicht sagen: Ich liebe dich, und ich bin sterbenskrank . Ich wollte kein Mitleid von dir, sondern deine Liebe. Und mir war klar, wenn ich dir meine Liebe gestehe, musste ich dir auch von meiner Krankheit erzählen. Dann habe ich überlegt, dir nur von meiner Krankheit zu erzählen. Schließlich warst du meine beste Freundin. Aber ich dachte, damit würde ich mir alles verbauen. Weißt du, du hättest Mitleid mit mir gehabt, und ich hätte nie gewusst, was deine Gefühle bedeuten. Verstehst du? Ich meine . . . stell dir vor, ich hätte dir irgendwann doch meine Liebe gestanden. Egal, wie du reagiert hättest, ich hätte wohl immer gedacht, es hat mit meiner Krankheit zu tun. Ich überlegte wochenlang, was ich tun sollte. Und dann kam das Candlelight-Dinner bei dir. Ich . . . als du mir gesagt hast, dass du mich liebst, da habe ich einfach Panik bekommen. Ich wollte nicht, dass du mich leiden siehst. Dass du mich sterben siehst.«
Jetzt liefen ihr dicke Tränen übers Gesicht. Sie kramte ein Taschentuch aus ihrer Hose hervor und wischte sich damit über ihre Wangen. Ich wusste nicht so recht, wie ich reagieren sollte.
»Ich dachte mir, wenn ich dir jetzt sage, dass ich dich auch liebe, dann wird es für dich die Hölle, wenn du mich dahinvegetieren siehst. Ich hab’ keinen anderen Ausweg gesehen, als davonzulaufen. Ich bin zu meiner Schwester und hab’ ihr gesagt, wenn sie dir verrät, wo ich bin, werde ich nach Afrika auswandern.«
Wir mussten beide lachen. Das war damals so ein gängiger Spruch zwischen uns. Quasi die schlimmste aller Androhungen. Wenn du mir das antust, wandere ich nach Afrika aus.
»Sie scheint dir diese Androhung tatsächlich
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