Traeume aus der Ferne
abgenommen zu haben«, sagte ich, als ich mich einigermaßen gefangen hatte. »Ich habe ein dutzendmal bei ihr angerufen. Sie hat mir gesagt, sobald sie was von dir hört, sagt sie mir Bescheid. Dieses Biest.«
Linda fing wieder an zu lachen. »Weißt du, es hat sie auch sehr mitgenommen. Sie hat mir die Hölle heiß gemacht, endlich mit dir zu sprechen. Aber ich konnte und wollte es nicht. Ich hatte mir nämlich was vorgenommen: Ich wollte diese Krankheit besiegen und dann zu dir kommen und dir endlich meine Gefühle gestehen. Dann, nach ein paar Tagen, dachte ich wieder, du wirst bestimmt nichts mehr von mir wissen wollen. So oder so. Ich hab’ mich hängenlassen. Ich ließ die Chemotherapie über mich ergehen, aber wirklichen Lebenswillen hatte ich nicht mehr. Ich kann nicht mehr sagen, wie lange das so ging. Aber eines Tages lag ich abends im Bett und hatte das Radio an. Weißt du, was für ein Lied kam?«
Wie aus einem Mund sagten wir: The Rose .
Dieses Lied von Bette Midler hatte ich damals aufgelegt, als ich Linda sagte, dass ich sie liebe.
»Es war genau dieser Moment, in dem ich erneut Lebensmut gefasst habe. Ich sah dich wieder vor mir sitzen, sah das Leuchten in deinen Augen, dein süßes Lächeln. Und mir wurde klar, dass ich dich wiedersehen muss. Für dich wollte ich wieder gesund werden. Ich wollte nicht von dieser Welt verschwinden, ohne dir zu sagen, dass ich dich liebe.«
Gerührt schluckte ich ein paar Tränen hinunter. »Und wie . . . wie geht es dir jetzt?«
»Oh, bestens. Sam, ich habe es geschafft. Ich habe den Krebs besiegt.«
»Das ist ja wundervoll!«
Ich sprang spontan auf und umarmte Linda. Als ich wieder saß, breitete sich ein unangenehmes Schweigen aus. Ich hatte das Gefühl, Linda wartete darauf, dass ich etwas dazu sagte. Ich stand auf und lief in der Küche auf und ab.
»Puh«, brachte ich schließlich nur hervor.
»Möchtest du, dass ich wieder gehe? Ich meine, ich habe dich hier einfach so überfallen. Du möchtest wahrscheinlich erst einmal alles in Ruhe verdauen. Es war vielleicht nicht fair von mir, dir das alles nach zwei Jahren so vor den Kopf zu knallen. Aber weißt du, ich habe mir damals geschworen, den Krebs zu besiegen, um uns eine Chance zu geben. Alles, was mir in dieser schweren Zeit Mut gegeben hat, war allein der Gedanke an dich.«
Mit diesen Worten stand sie auf und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal zu mir um.
»Soll ich dir meine Telefonnummer dalassen?«
Ich zögerte ein paar Sekunden, sah ihr dabei tief in die Augen. Nach einer kleinen Ewigkeit löste sich Linda von meinem Blick und ging zur Wohnungstür. Sie hatte ihre Hand schon auf der Klinke, als ich von der Küchentür aus sagte: »Ja, Linda, aber . . .«
»Aber ich soll nicht so bald mit einem Anruf von dir rechnen?« unterbrach sie mich.
»Dass du mich aber auch nie ausreden lassen kannst!«
»Was? Ich hab’ dich nie ausreden lassen? Du bist doch mein kleines Plappermaul! Eine Einladung zum Kino dauert bei dir immer eine halbe Stunde.«
»Inzwischen habe ich mich gebessert«, witzelte ich. »Ich schaffe es jetzt schon in 25 Minuten.«
Wir prusteten beide los.
»Hast du einen Zettel und einen Stift für mich?«
»Ja, aber . . .« Ich sah sie drohend an für den Fall, dass sie mich wieder unterbrechen wollte. »Ja, aber so schnell lass’ ich dich nicht wieder gehen.« Ich ergriff ihren Arm und zog sie zurück in die Küche. »Jetzt setz dich mal hin und iss was. Wenn du mein Frühstück verschmähst, dann will ich deine Nummer auch nicht«, sagte ich und grinste Linda frech an.
Ich schob mir gerade ein Stück Marmeladenbrötchen in den Mund, als Linda plötzlich laut zu lachen anfing.
»Sag mal, Sam, bist du zufällig gerade erst aus der Dusche gestiegen, als ich vorhin gekommen bin?« brachte sie mit Müh und Not zwischen ihren Lachanfällen hervor.
Ich mampfte wenig beeindruckt weiter an meinem Brötchen. »Hab’ ich etwa noch Rasierschaum im Gesicht?« fragte ich ganz cool.
Das war ein großer Fehler. Nun lachte Linda noch mehr. Sie lag schon halb auf der Bank und hielt sich den Bauch. Gott, wie ich sie vermisst hatte. Wie vertraut sie mir nach den paar Stunden schon wieder war.
»Schau mal in den Spiegel.«
Ich stand auf und trottete ins Bad. Dort vor dem Spiegel musste ich mir das Lachen kräftig verbeißen. Ich hatte meine Haare nach der Dusche nicht gekämmt, und nun standen sie in alle Himmelsrichtungen ab. Mit den Fingern versuchte ich
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