Traeume aus der Ferne
Wohnung waren. Und zwischendurch kümmerte sie sich immer wieder einmal um ein kleines Kind, das vielleicht fünf Jahre alt war und versuchte so wie die Großen irgend etwas ins Haus zu schleppen. Gut möglich, dass sie hier als alleinerziehende Mutter mit ihrem kleinen Knirps die Wohnung beziehen würde. Zu dritt oder für zwei Erwachsene war es dort eindeutig zu eng.
Nicole mochte Kinder ganz gern. Aber wie es wohl sein würde, so einen kleinen Rabauken neben sich zu haben? Wohl auch nicht schlimmer als der Vormieter, der ständig seine Stereoanlage bis zum Anschlag aufgedreht hatte.
»Wohl wieder keine Lesbe«, stellte Nicole resigniert fest.
Als hätte er sie verstanden, sprang ihr Kater von seiner Decke hoch und streifte ihr zwischen den Beinen umher.
»Das ist schon okay, Snoopy«, sagte Nicole zu ihm. »Ich weiß ja selbst, dass das ein riesengroßer Zufall wäre, wenn hier zwei Lesben nebeneinander wohnen würden. Aber man wird doch noch etwas träumen dürfen.«
Seitdem sie wusste, dass die Wohnung neu vermietet wurde, hatte sie diesen aberwitzigen Traum, dass eine Lesbe nebenan einziehen könnte. Sie erwartete ja nicht einmal, dass diese Frau die Richtige sein würde. Aber wo eine Lesbe war, waren andere oft nicht weit . . .
Nicole war mal wieder auf der Suche nach einer Frau. Nichts Festes, dafür hatte sie nicht sehr viel übrig. Aber eine kleine Affäre würde ihr durchaus mal wieder gefallen.
Lautes Lachen drang jetzt aus dem Treppenhaus in ihre Wohnung. Na, das konnte ja heiter werden. Obwohl es erst gegen Mittag war, setzte sie sich auf die Couch und schaltete den Fernsehapparat an. Das tat sie immer, wenn sie sich besonders allein fühlte.
Sie war gerade in einer spannenden Szene ihrer Lieblingsserie gefangen, als es an der Tür klopfte.
»Wenn man sich einsam fühlt, dann schert sich kein Mensch um einen. Aber wehe, man ist mal für eine halbe Stunde mit etwas Sinnvollem beschäftigt«, brummte sie vor sich hin, während sie zur Tür schlurfte. Wahrscheinlich ihre beste Freundin, die ihr ihr Leid mit den Männern klagen wollte.
Sie öffnete die Tür und blickte ins Leere. Sie schaute verdattert von links nach rechts, aber sie sah niemanden.
»Jetzt drehe ich bald völlig durch«, murmelte sie. Doch gerade als sie die Tür wieder schließen wollte, zupfte jemand an ihrem Hosenbein.
»He, kleiner Mann, wer bist du denn?« fragte sie, als sie entdeckte, dass es der kleine Junge war, den sie eben noch vom Fenster aus beobachtet hatte.
»Na, ich bin doch der Timmy«, sagte er mit einem Ton, der ihr wohl klarmachen sollte, dass das doch logisch war.
»Und wer bist’n du?« fragte er dann ganz keck.
»Na, ich bin doch die Nicole«, antwortete sie und verdrehte dabei gespielt die Augen.
Der kleine Junge kicherte in seine Hände. Scheinbar hatte er ihren kleinen Spaß verstanden.
Nicole sah sich wieder im Treppenhaus um, aber es war sonst niemand zu sehen. »Wo ist denn deine Mami?« fragte sie dann wieder an Timmy gerichtet.
»Die tut arbeiten«, klärte er sie auf.
Für Kinder war wohl alles, was nichts mit Spielen zu tun hatte, Arbeiten .
»Und du hilfst ihr dabei?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Erneut hielt er sich die Hände vor den Mund und kicherte.
»Nöööööööööö, bin doch viel zu klein.« Er konnte kaum aufhören zu lachen. »Aber«, fuhr er dann ganz stolz fort, »Papi hat gesagt, wenn ich groß bin, darf ich mit ihm zur Arbeit.«
Oh, dachte Nicole. Aber was hatte sie erwartet? Dass es keinen Papi gäbe? Vielleicht hatte sie gehofft, dass sie doch lesbisch und der Kleine – ein Unfall war? Aber auch Unfälle haben einen Papi, belehrte Nicole sich selbst. Die meisten jedenfalls.
»TIMMY!« Eine aufgeregte Stimme drang von der Haustür hoch zu ihnen.
Timmy hielt sich die Ohren zu, und Nicole musste über den süßen Fratz lächeln. Da er keine Anstalten machte zu antworten, beugte sie sich übers Geländer und rief der Frau, seiner Mutter, zu, dass er hier oben bei ihr wäre.
Sie stürmte in Rekordzeit die Treppen hoch, und Nicole fragte sich schon, ob sie Hochleistungssportlerin war. Aber als die Frau ihr gegenüberstand, merkte sie, dass es Angst war, die sie getrieben hatte. Sie ging vor Timmy in die Hocke und packte ihn an den Schultern.
»Mensch, wo läufst du denn hin? Wir haben uns schon solche Sorgen um dich gemacht.«
Immer noch außer Atem richtete sie sich wieder auf und sagte nun zu Nicole: »Danke, dass Sie auf ihn aufgepasst
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