Traeume aus der Ferne
langsam machte sich Enttäuschung in mir breit, da sie nicht wieder aufgetaucht war. Vereinzelt fingen ein paar Leute zu klatschen an, und als der Applaus immer stärker wurde, blickte ich hoch zur Bühne. Na, mal sehen, was »Tamy« zu bieten hatte.
Sie hatte inzwischen ihre Gitarre in der Hand und fing schon mit dem ersten Stück an, als ich sie erkannte: Tamy, das war . . . sie! Ich drehte mich in einer hilflosen Geste zur Theke um, fest davon überzeugt, dass sie dort stehen würde. Sie konnte doch nicht »Tamy« sein. Aber da stand sie natürlich nicht. Die Frau, mit der ich mich vorher kurz unterhalten hatte, war Tamy. Und ich war so fest davon überzeugt, dass Tamy ein amerikanischer Name ist. Oder zumindest australisch oder englisch. Ich hatte nicht eine Sekunde damit gerechnet, dass eine Deutsche hinter diesem Namen stecken könnte. Das erste Lied war vorbei, und ich hatte keinen Ton davon mitbekommen. Trotzdem klatschte ich wie all die anderen in der Kneipe.
Sie verbeugte sich, lächelte ins Publikum, und ich musste an die kleinen Falten um ihre Augen denken. Dann trat sie ganz nah ans Mikrophon.
»Vielen Dank«, ertönte ihre etwas rauchige Stimme. »Mein Name ist Tamy Mandell, und ich freue mich, dass Sie heute Abend hier sind.« Sie lächelte in meine Richtung, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass sie mich wegen der grellen Scheinwerfer, die auf sie gerichtet waren, nicht erkennen konnte.
Die Vorankündigung bei den Veranstaltungsterminen hatte wirklich nicht zuviel versprochen. Sie hatte eine unglaubliche Stimme, und sie verstand es, diese vielschichtig einzusetzen. Zwischen ihren Stücken machte sie Scherze mit dem Publikum oder erzählte irgendwelche Geschichten zu ihren Songs.
Als das Konzert zu Ende war, fühlte ich mich wie berauscht. Vereinzelt standen Leute auf und gingen Richtung Ausgang. Aber ich wollte noch nicht gehen. Ich sah mich hoffnungsvoll um, ob sie vielleicht noch einmal auftauchen würde, aber sie war nirgendwo zu entdecken. Ich wollte gerade entmutigt aufstehen und gehen, als sie plötzlich auf mich zukam. Wir lächelten uns an, und ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass ich nicht wieder so sprachlos wie vor dem Konzert sein würde. Sie war jetzt nur noch ein paar Schritte von mir entfernt, und ich hatte schon einen originellen Spruch auf den Lippen, als plötzlich zwei Männer auf sie zugingen. Sie unterhielten sich kurz, gingen dann zusammen zur Bühne. Da ich mir meine Enttäuschung nicht anmerken lassen wollte, tat ich, als würde ich gelangweilt in der Gegend umherblicken. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, dass sie den beiden eine ihrer CDs verkaufte, die sie in einem Karton auf der Bühne stehen hatte. Innerhalb weniger Sekunden wurden ein paar Leute darauf aufmerksam und folgten dem Beispiel der beiden Männer. Als das größte Gedränge vorbei war, stand ich auch auf und ging auf sie zu.
»Ich hatte schon Angst, du würdest einfach gehen«, begrüßte sie mich, als sie mich sah. »Möchtest du eine CD?«
»Sicher. Deshalb bin ich doch hier.« Wieso musste ich nur immer so schrecklich cool tun? Dabei war mir alles andere als cool zumute.
»Was bekommst du dafür?« fragte ich nun mit einem kleinen Lächeln.
»Lass mal gut sein«, antwortete sie. »Die schenk ich dir . . . hey, ist dir aufgefallen, dass wir uns plötzlich duzen?«
»Charlotte, aber alle nennen mich Charlie«, sagte ich und streckte ihr meine Hand hin.
»Tamara, aber alle nennen mich Tamy«, antwortete sie mit dem frechsten Lächeln, das ich je gesehen habe.
»Also, Charlie, darf ich dir eine Widmung auf die CD schreiben?« fragte sie nun mit einem intensiven Blick.
»Das wäre lieb. Ich . . .« Weiter kam ich nicht, da sich inzwischen wieder einige Leute um uns drängten und Tamy mit Fragen bombardierten. Sie drückte mir die CD in die Hand und zwinkerte mir dabei zu. Dann widmete sie sich ganz ihren anderen Fans. Etwas enttäuscht über diese offensichtliche Aufforderung, sie jetzt allein zu lassen, packte ich meine Jacke und stürmte aus der Kneipe.
Als ich später gemütlich auf meiner Couch saß, schaute ich mir ihre CD erstmals genauer an. Als ich ihre Widmung las, merkte ich, wie mein Herz sich fast überschlug.
Ich spiele in zwei Tagen im Nachbarort. Kennst Du das Masters ? Möchtest Du mich noch mal sehen? Werde Dich auf die Gästeliste setzen. Bitte komm . . .
Dann stand da noch die Adresse vom Masters .
Natürlich war ich zwei Tage später dort. Ich hatte
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