Traeume aus der Ferne
haben. Ich hoffe, er hat Ihnen keinen Ärger gemacht.«
»Ganz und gar nicht«, antwortete Nicole. Wieso waren die wirklich interessanten Frauen immer verheiratet? Nicole sah in die dankbar blickenden Augen. Aber wieso zog sie mit ihrem Jungen in eine eigene Wohnung? Hatten sie sich geschieden? Getrennt? Egal – sie war trotzdem immer noch hetero.
»Sind Sie meine neue Nachbarin?« Nicole fiel plötzlich ein, dass sie ja noch nicht einmal das wusste.
»Ja«, lächelte die Frau zurück. »Entschuldigung, vor lauter Aufregung habe ich ganz vergessen mich vorzustellen. Fabienne Neske. Ab Montag Ihre neue Nachbarin. Und der kleine Ausreißer hier ist Timmy, mein . . .«
»Ich weiß«, unterbrach Nicole sie. »Er hat sich schon vorgestellt.«
Sie mussten beide lachen.
»Und du«, wandte sich Fabienne nun wieder an Timmy, »erklärst mir jetzt mal bitte, was du hier treibst.«
Er stemmte seine Arme in die Hüften, um zu zeigen, dass er sich voll im Recht fühlte. »Aber du hast gesagt, dass wir rüber gehen und ’ne Pizza essen«, erinnerte er sie.
Fabienne kämpfte sichtlich mit einem Lachanfall. Sie und Nicole sahen sich kurz an und konnten das Lachen schließlich doch nicht mehr zurückhalten.
Timmy stand ganz verstört dabei und verstand die Welt nicht mehr.
Fabienne bemühte sich um einen verständnisvollen Tonfall. »Timmy«, sagte sie und ging wieder vor ihm in die Hocke. »Ich habe gesagt, wir gehen nach nebenan eine Pizza essen. Das stimmt. Aber mit nebenan meinte ich die Pizzeria, die hier zwei Häuser weiter ist.«
»Ach so«, antwortete er kleinlaut.
»Hey, nun schau nicht so traurig«, munterte Fabienne ihn wieder auf.
Nicole war beeindruckt, wie ruhig und gelassen sie jetzt wieder mit ihm umging. Wenn sie selbst Mutter wäre, hätte sie wahrscheinlich nach ein paar Jahren sämtliche Geduld verloren. Und wie schaffte Fabienne es, trotz Kind so umwerfend auszusehen?
»Kinder«, sagte Fabienne liebevoll lächelnd, als sie sich wieder Nicole zuwandte.
»Darf ich Sie als kleines Dankeschön auf eine Pizza einladen?« fragte sie dann etwas schüchtern.
»Nein . . . äh . . . aber danke«, stammelte Nicole. »Ich habe schon gegessen«, log sie. Sie wollte sich nicht zu sehr an Fabiennes Nähe gewöhnen. Als sie die beiden die ganze Zeit beobachtet hatte, war ihr aufgefallen, wie sympathisch ihr Fabienne von Anfang an gewesen ist. Und wäre sie lesbisch gewesen, so hätte Nicole bestimmt ihr Glück bei ihr versucht. Aber unter diesen Umständen war es besser, gleich von Anfang an Abstand zu wahren. Das ersparte auf Dauer viele Probleme.
»Schade«, antwortete Fabienne mitten in Nicoles Überlegungen hinein. »Aber sobald ich einigermaßen eingerichtet bin, lade ich Sie zum Essen ein. Und keine Widerrede.«
»Okay.« Das war ja noch schlimmer. Mit ihr in der Wohnung, womöglich noch allein. Aber da sie nicht unhöflich wirken wollte, hatte sie keine andere Wahl als zuzusagen.
»Na, Timmy, wollen wir mal schauen, ob die anderen uns eine Pizza übriggelassen haben?«
»Au ja!« Timmy war schon auf dem Weg zur Treppe. »Tschüss«, rief er dann noch in Nicoles Richtung.
»Langsam, junger Mann. Du wartest unten an der Tür auf mich, verstanden?« rief Fabienne ihm hinterher.
»Jahaaaa«, und weg war er.
»Puh.« Fabienne schnaufte tief aus. »Ich hatte wirklich Angst, der Kleine wurde entführt. Sie glauben nicht, was man sich in solchen Momenten alles ausmalt.«
»Kann ich mir gut vorstellen«, antwortete Nicole und fühlte sich dabei von Fabiennes Augen in den Bann gezogen.
»FABIENNE! Wann kommst’n du endlich?« dröhnte es durchs Treppenhaus.
Oha, heutzutage nennt man seine Mutter beim Vornamen. Wenn sie in solchen Dingen so modern eingestellt war, vielleicht hatte sie ja auch nichts gegen ein nettes Abenteuer mit ihr. Nicole war entsetzt über ihre eigenen Gedanken. Sie war zwar nicht unbedingt für eine feste Beziehung, aber so stellte sie sich das auch nicht vor – auf Abruf bereitzustehen, wenn der Mann oder Freund keine Zeit hatte.
»Sofort. Und du schrei hier nicht so rum!« Resolut konnte sie wohl immerhin sein.
»Ich muss jetzt aber wirklich«, sagte sie mit einem wesentlich weicheren Ton zu Nicole. »Außerdem haben wir Sie schon lange genug aufgehalten. Wir sehen uns ja jetzt bestimmt öfter.«
Nicole ging wieder in ihre Wohnung und beobachtete Fabienne, die Timmy auf ihren Schultern in die Pizzeria trug.
»Wirklich schade«, stellte sie noch einmal bedauernd
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