Träume der Dunkelheit: Erzählungen (German Edition)
ernst. Er rang mit sich, das konnte sie nur allzu deutlich sehen. Sie wusste, dass er um ihr Leben fürchtete. Wie gern hätte sie die Linien geglättet, die sich so tief in sein Gesicht gegraben hatten. An seiner Schläfe war Blut, ein dünnes Rinnsal, das die extreme Übermüdung, die seine Gesichtszüge verrieten, noch unterstrich. Sein Hemd war blutig und von vier langen Rissen vollkommen zerfetzt. Alles in ihr drängte sie, ihn in die Arme zu nehmen und zu trösten, aber sie blieb nur ruhig sitzen und wartete auf das, was er zu sagen hatte.
»Ich habe uns für immer aneinander gebunden, im Leben wie im Tod. Wenn mir etwas zustieße, würde es dir sehr schwer fallen, ohne mich weiterzuleben. Wir müssen schnellstens in die Berge und zu meinen Leuten. Dein Feind ist ein sehr alter und äußerst mächtiger Vampir. Er hat beschlossen, dass du ihm gehörst, und nichts wird ihn davon abbringen, dich zu jagen. Ich glaube, dass du sowohl bei Nacht als auch bei Tageslicht gefährdet bist, Sara.«
Sie nickte nur, weil sie seinen Worten nichts entgegenzusetzen hatte. Der Vampir war jahrelang unerbittlich hinter ihr her gewesen. Bisher war ihr die Flucht immer gelungen, weil sie stets darauf vorbereitet gewesen war, beim kleinsten Anzeichen, dass er in der Nähe war, zu flüchten. Hätte der Vampir sich leise und unauffällig an sie herangepirscht, wäre sie ihm in die Hände gefallen, dessen war sie sich ganz sicher. Doch er schien ihr nicht zuzutrauen, dass sie die Fähigkeit besaß, seinen Ruf zu ignorieren. »Es wäre nicht das erste Mal, dass er tagsüber irgendwelche Kreaturen für seine Schmutzarbeit benutzt.« Sie senkte den Blick auf ihre Hände. »Ich habe eine von ihnen sogar verbrannt«, gab sie mit leiser Stimme und beschämt zu.
Falcon, der ihr Schuldbewusstsein wie einen Schlag empfand, nahm ihre Hände, drehte sie um und küsste ihre Innenflächen. »Die Ghule, die Lakaien der Vampire, sind schon tot. Sie sind seelenlose Geschöpfe, die von Fleisch und dem vergifteten Blut der Untoten leben. Du hast Glück gehabt, ihnen entkommen zu sein. Sie zu töten ist ein Akt der Gnade. Glaub mir, Sara, diese Wesen können nicht gerettet werden.«
»Sag mir, welche Möglichkeiten wir haben, Falcon. Es ist fast Morgen, und ich bin sehr besorgt um dich. Du hast beträchtliche Verletzungen, die versorgt werden müssen.« Sie konnte seinen Anblick kaum ertragen. Er war blutverschmiert und so müde, dass ihm fast die Augen zufielen. Mit sanften Fingern strich sie ihm ein paar Strähnen seines langen Haares zurück.
»Meine Verletzungen sind nichts Ernstes«, sagte er und zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Wenn ich mich in die Erde begebe, wird ihre Heilkraft mich gesunden lassen. Aber solange ich dort ruhe, wirst du hier oben allein und angreifbar sein. Im Laufe bestimmter Tagesstunden bin ich am schwächsten und kann dir dann nicht zu Hilfe kommen. Oder jedenfalls nicht körperlich. Deshalb würde ich vorziehen, dass du jederzeit an meiner Seite bleibst, damit ich sicher sein kann, dass dir nichts zustößt.«
Sara machte große Augen. »Du willst, dass ich mit dir in die Erde gehe? Wie stellst du dir das vor?« Sie hatte noch sehr viel zu erledigen, alles Tätigkeiten, die sie nur tagsüber, während der Geschäftszeit, verrichten konnte. Die Welt war nun einmal nicht auf die Zeitpläne der karpatianischen Spezies eingestellt.
»Du müsstest voll und ganz wie ich werden«, antwortete er sanft, jedoch entschieden. »Du würdest alle Fähigkeiten meines Volkes haben, aber auch die Schwächen. Du wärst während der Tagesstunden verwundbar, und du würdest Blut benötigen, um dich am Leben zu erhalten.«
Sie schwieg einen Moment und ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. »Vermutlich wäre mir das nicht so zuwider, wenn ich so wie du wäre. Würde es mich nach Blut gelüsten? «
Er zuckte mit den Schultern. »Das gehört zu unserer Lebensweise. Wir töten aber nicht, sondern sorgen dafür, dass unsere Beute ruhig bleibt und nichts von alldem mitbekommt. Ich würde dir Blut geben, und zwar auf eine Art und Weise, die dir nicht unangenehm wäre.«
Sara nickte zustimmend zu seinen letzten Worten, obwohl ihre Gedanken noch um seine Verwendung des Wortes Beute kreisten. Seltsamerweise waren Falcons Worte kein Schock für sie. Besorgt um seine Wunden, nahm sie seinen Arm und zog ihn auf das kleine Badezimmer zu, wo sie einen Erste-Hilfe-Kasten verwahrte. Falcon ging mit ihr, weil er spüren konnte, wie sehr
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