Träume der Dunkelheit: Erzählungen (German Edition)
Er schaffte es, völlig arglos zu erscheinen. »Es wäre selbst für uns eine ziemliche Leistung, einem Vampir so viele Jahre zu entkommen, von einem Menschen ganz zu schweigen. Da ist es doch wohl verständlich, wenn man glaubt, man hätte sich verhört. Und ich bin charmant.«
Raven schüttelte den Kopf und grinste. »Verlass dich nicht zu sehr darauf, Jacques. Ich weiß aus guter Quelle, dass die Versuchung, dich zu treten, für einige Leute sehr groß ist. Und auch Menschen sind zu außergewöhnlichen Leistungen fähig.« Sie zupfte einige Glassplitter von Saras Kleidern. »Das muss ja furchtbar beängstigend für Sie gewesen sein.«
»Anfangs ja«, gab Sara müde zu. »Aber dann wurde es zu einer Lebensweise, ständig vor ihm davonzulaufen und ihm immer einen Schritt voraus zu sein. Ich habe keine Ahnung, warum er so auf mich fixiert ist.«
Shea und Raven zündeten Kerzen an, die einen angenehmen Duft abgaben. Er beruhigte Sara, drang in ihre Haut und Lunge ein und linderte die Schmerzen in ihrem Körper. »Sara«, sagte Shea leise, »Sie haben eine Gehirnerschütterung und zwei gebrochene Rippen. Die Rippen habe ich vorhin gerichtet, doch Sie brauchen noch weitere Behandlungen, wenn Sie schnell wieder auf die Beine kommen wollen.«
Sara seufzte leise, weil sie nur noch schlafen wollte. »Der Untote wird kommen, wenn er herausfindet, dass ich hier bin, und dann werden Sie alle in Gefahr sein. Es ist sicherer für Sie, wenn ich fortgehe.«
»Mikhail wird den Vampir schon finden«, sagte Jacques im Brustton der Überzeugung.
Lass dich von der Frau behandeln, Sara! Ich habe Gerüchte über sie gehört. Sie war eine menschliche Ärztin, bevor Jacques sie als seine Seelengefährtin beanspruchte.
Sara runzelte die Stirn, als sie Shea ansah. »Falcon hat von Ihnen gehört. Sie waren Ärztin?«
»Das bin ich immer noch«, beruhigte Shea sie. »Danke, dass Sie uns gewarnt haben und sich Sorgen um uns machen. Das spricht für Sie, aber ich kann Ihnen versichern, dass der Vampir uns hier nichts antun kann. Erlauben Sie mir also bitte, mich um Sie zu kümmern, bis Ihr Seelengefährte kommt.« Ihre Hände waren sehr sanft, als sie über Sara glitten, und hinterließen eine prickelnde Wärme auf ihrer Haut. »Sie als karpatianische Heilerin zu behandeln, statt als menschliche Ärztin, ist eigentlich gar nicht mal so anders. Es geht nur schneller, weil ich Sie von innen heraus heile. Es wird nicht wehtun, doch Sie werden eine ungewohnte Wärme spüren.«
Raven fuhr fort, Glassplitter aus Saras Bekleidung zu zupfen. »Wie sind Sie Falcon begegnet? Er ist uns nicht persönlich bekannt.« Sie schlug einen sanften, freundlichen Tonfall an, um Sara zu beruhigen und ihr die Sicherheit zu geben, dass ihr in ihrem Haus nichts Schlimmes widerfahren würde. Aber sie wollte natürlich auch so viele Informationen wie möglich aus ihr herausholen.
Sara lehnte sich wieder an die weichen Kissen, ohne ihren Rucksack loszulassen. Sie konnte den unablässigen schaurigen Wind hören, der heulte und stöhnte, schrie und wisperte. Darin war eine Stimme. Sara konnte die Worte nicht verstehen, aber den Klang der Stimme kannte sie. Regen schlug gegen die Fenster und aufs Dach, pochte an den Wänden, als verlangte er Einlass in das Haus, und Schatten bewegten sich draußen vor einem Fenster – dunkel und unheilvoll genug, um sogar die schweren Vorhänge zu durchdringen. Der Stoff konnte nicht verhindern, dass die Schemen bis ins Zimmer griffen. Laut knackende Funken sprühten auf und trafen etwas, das von drinnen nicht zu sehen war. Das Geheul und Gestöhne nahm zu und steigerte sich zu einem regelrechten Angriff auf Saras empfindliche Ohren.
»Jacques.« Shea sprach den Namen aus, als wäre er ein Talisman, als sie ihre Hand in die viel größere ihres Seelengefährten schob und mit unverhohlener Zärtlichkeit und Liebe in den Augen zu ihm aufschaute.
Der Karpatianer zog seine Gefährtin näher und küsste ihre Hand. »Die Schutzzauber werden halten«, versicherte er ihr und wechselte die Haltung, sodass er nun zwischen dem Fenster und dem schweren Sofa stand, auf dem Sara saß. Die Bewegung war fast unmerklich gewesen, aber Sara war sie nicht entgangen.
Das Geräusch des Regens veränderte sich, wurde zu einem Hagel aus irgendetwas Schwererem, das die Fenster traf und das Gebäude peitschte. Raven fuhr plötzlich zu dem großen steinernen Kamin herum. Hunderte glänzender schwarzer Insekten regneten aus dem Schornstein und landeten
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