Traeume doch einfach weiter
bald an der NYU, der renommiertesten
Filmhochschule des Landes, studieren, die technisch bestens ausgestattet und
auf dem allerneuesten Stand war. Dort unterrichteten die besten Professoren und
dank der an die Uni angeschlossenen Schauspielschule hatte sie Zugriff auf
einen Pool toptalentierter junger Schauspieler. Wieso sollte sie ihren Sommer
mit einem kommerziellen Filmprojekt verplempern, an das sie nicht glaubte,
wenn sie die Zeit dazu nutzen konnte, um zu arbeiten und im Herbst einen
eigenen Film zu drehen? Sie hatte sogar schon eine geniale Idee: die Geschichte
einer jungen Künstlerin, die sich entscheiden muss, ob sie ihrer Muse folgen
oder bei ihrem wahnsinnigen, nach Räucherstäbchen und Kräutertee süchtigen
schriftstellernden Freund bleiben soll.
Hey, klingt fast
so, als würde die Kunst ausnahmsweise das Leben imitieren.
Ein mürrisch
dreinblickendes Hausmädchen mit Spitzenhäubchen und weißer Schürze über
schwarzer Uniform öffnete die schwere Tür. »Ja bitte?«, fragte sie
misstrauisch.
»Es geht um den
Job«, sagte Vanessa mit schwerer Zunge. »Die Tochter von der Mutter...« Sie
überlegte einen Moment, weil ihr der Name entfallen war. »Jasmine! Genau. Die
hat mir gesagt, ich soll ihre Mutter wegen einem Job fragen. Also deswegen bin
ich hier.«
Das Hausmädchen
runzelte die Stirn. »Verstehe. Kom men Sie herein.
Die Dame des Hauses wird Sie in ihrem Büro empfangen.«
Vanessa betrat
die Eingangshalle mit der breiten marmornen Freitreppe, die von einem riesigen
Kristalllüster beleuchtet wurde, und folgte dem Hausmädchen leicht schwankend
in eine holzgetäfelte Bibliothek, die mit geschmackvollen Antiquitäten
eingerichtet war. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, worum es sich bei dem
Job handeln könnte, ging aber davon aus, dass Jasmines Mutter eine
erfolgreiche Geschäftsfrau war. Wahrscheinlich suchte sie dringend eine
kompetente Sekretärin. Der Job war bestimmt stinklangweilig, aber als Künstler
musste man nun mal für seine Kunst leiden, ansonsten war man dazu verdammt,
kommerzielle Scheiße zu produzieren wie die Ken Moguls dieser Welt.
»Bitte warten Sie
hier«, sagte das Hausmädchen.
Vanessa ließ sich
auf der äußersten Kante eines prächtig geschnitzten Art-deco-Stuhls nieder.
Weil sie das Gefühl hatte, dass sich der Raum leicht um sie drehte, klammerte
sie sich an der Sitzfläche fest und konzentrierte sich darauf, nicht zu
kotzen.
»Bist du meine
neue Freundin?«
Vanessa hob den
Kopf, sah aber niemanden.
Toll, ich bin so
besoffen, dass ich jetzt schon Stimmen höre.
»Bist du meine
neue Freundin?«, fragte die Stimme wieder und löste sich dann in Kichern auf.
»W... wer ist da
denn?«, stammelte Vanessa zaghaft. Sie hatte keine Lust, von ihrer zukünftigen
Chefin dabei ertappt zu werden, wie sie Selbstgespräche führte.
»Bist du ein
Mädchen?«, fragte eine andere Stimme.
»Wieso hast du
keine Haare?«, meldete sich die erste Stimme wieder.
Zwei Stimmen?
Hatte sie wirklich so viel getrunken?
Vanessa hielt den
Atem an und lauschte. Sie stand auf. Woher kamen die Stimmen? Sie kniete sich
hin, presste die Wange auf den kalten, blank polierten Parkettboden und suchte
das Zimmer aus der Froschperspektive ab. Es funktionierte. Unter einem
zierlichen vergoldeten Zweisitzer kauerte ein kleiner blonder kraushaariger
Junge.
»Du hast mich
gefunden!«, kreischte er und robbte unter dem Sofa hervor.
»Hallo«, sagte Vanessa.
»Ist deine Mutter zu Hause?«
»Du stinkst nach
Wein«, sagte der Junge missbilligend. »Ich bin vier. Wie alt bist du?«
»Du musst mich
auch suchen!«, verlangte die andere Stimme.
Was blieb ihr
anderes übrig?
»Wo steckst du
denn?« Vanessa stützte sich auf Hände und Knie und sah unter den anderen
Möbelstücken nach.
»Such mich! Such
mich!«, rief die Stimme.
Vanessa folgte
ihrem Klang bis zu einem runden Glastisch, auf dem ein großer Globus stand.
Als sie das Tischtuch hob, sah sie einen kleinen Jungen darunter kauern, der
exakt so aussah wie der andere.
»Du hast mich
gefunden!«, rief er, krabbelte unter dem Tisch hervor und rannte zum Sofa, auf
dem sein Bruder inzwischen herumhopste. Er sprang zu ihm hinauf und rempelte
ihn an, worauf beide zu Boden purzelten.
»Kinder!«, mahnte
eine strenge Stimme. Eine imposant aussehende rothaarige Frau in einem
magentafarbenen Chanelkostüm trat in die Bibliothek und presste sich ein Handy
und eine zusammengerollte Ausgabe der Vogue an die Brust.
»Sie sind
bestimmt Vanessa«,
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