Träume in Kristall
Jahreszeit, in der sich die Frauen ärmellos zu kleiden beginnen, waren die Schultern des Mädchens eben erst hervorgetaucht. Der Haut dort war anzusehen, daß sie an die offene Berührung durch die Luf noch nicht gewöhnt war. Sie hatte den Schimmer einer im Frühling im verborgenen schwellenden Knospe, bevor der Sommer sie zerstört. Am Morgen jenes Tages hatte ich im Blumengeschäf eine Magnolienknospe gekauf und sie in eine Glasvase gestellt: die Rundung der Mädchenschulter glich ganz der großen weißen Knospe dieser Magnolie. Mehr als sonst ein ärmelloses, war das Kleid des Mädchens über den Armen zum Hals hin weit ausgeschnitten, so daß, wenn auch maßvoll, die Schultern bloß lagen. Das Kleid war aus einer dunkelblau-grünen, fast schwärzlichen Seide und hatte einen weichen Glanz. Bei so gerundeten Schultern wies der Rücken des Mädchens eine leichte Wölbung auf. Mit dieser Rückenwölbung zeichneten die Rundungen der abfallenden Schultern eine sanfe Welle. Schräg von hinten betrachtet, wurde die aus den Schulterrundungen zum langen schlanken Nacken aufsteigende Haut vom Haaransatz der Hochfrisur deutlich begrenzt, und es schien, als würfe das schwarze Haar einen schimmernden Schatten auf die runden Schultern.
Das Mädchen hatte offensichtlich gespürt, auf welche
Weise ich seine Schönheit bewunderte, und deshalb seinen rechten Arm zusammen mit der Schulterrundung abgelöst und ihn mir geliehen.
Der Mädchenarm, den ich sorgsam unterm Regenmantel festhielt, war kälter als meine Hand. Mir war heiß geworden vom rasenden Pochen meines Herzens, und auch meine Hand mochte fiebrig sein, doch wünschte ich nicht, daß dieses Glühen sich auf den Mädchenarm übertrüge. Er sollte die gleichmäßige Körperwärme des Mädchens behalten. Zudem ließ mich seine leichte Kühle in meiner Hand eine mitfühlende Vertrautheit empfinden. Es war dies wie bei jenen jungen Brüsten, die noch nie ein Mann berührt hat. Der nächtliche Nebel, fast schon ein Regen, wurde dichter und verklebte mir allmählich das Haar auf dem unbedeckten Kopf. Aus den Hinterräumen einer Apotheke, deren Ladentür geschlossen war, hörte ich ein Radio, und eben wurde durchgesagt, daß wegen des Nebels drei Passagiermaschinen nicht landen könnten und bereits länger als dreißig Minuten über dem Flughafen kreisten. Anschließend machte man die Hörer darauf aufmerksam, daß aufgrund der Feuchtigkeit in einer solchen Nacht die Uhren falsch gehen könnten. Auch sei es dann, erklärte man, leicht möglich, daß Uhrfedern, wenn sie zu straff aufgezogen werden, brechen. Ich sah zum Himmel hinauf, ob etwa die Lichter der kreisenden Flugzeuge zu erkennen wären, doch da war nichts zu sehen. Der Himmel existierte überhaupt nicht. Die Feuchtigkeit, die mich umschloß, drang mir selbst in die Ohren, und mir war, als hörte ich ein dumpfes Geräusch, wie vom Gekrieche zahlloser Regenwürmer in der Ferne. Mit der Überlegung, möglicherweise werde das Radio seinen Hörern noch weitere Warnungen erteilen, war ich vor der Apotheke stehengeblieben, als man davon berichtete, wie im Zoologischen Garten die Löwen und Tiger und Leoparden und andere wilde Tiere wütend gegen die Feuchtigkeit anbrüllten und daß man dies jetzt übertragen werde, worauf das Gebrüll der Tiere wie das Grollen der Erde vor einem Beben erklang. Danach war die Rede von Schwangeren und Depressiven, die in einer solchen Nacht früh zu Bett gehen und still liegen sollten. Ferner hieß es, wo Damen in einer solchen Nacht ein Parfüm unmittelbar auf die Haut auftrügen, dringe der Duf tief ein und lasse sich nicht mehr beseitigen.
Als das Gebrüll der wilden Tiere zu hören war, hatte ich mich von der Apotheke entfernt und war weitergegangen, aber noch bis zu der Warnung wegen des Parfüms verfolgte mich das Radio. Das wütende Tiergebrüll hatte mich erschreckt, und damit meine Furcht nicht auch auf den Mädchenarm übergriffe, hatte ich mich von der Radiostimme aus der Apotheke losgerissen. Zwar war, so fiel mir ein, das Mädchen weder schwanger noch depressiv, doch würde es sich in dieser Nacht, nachdem es mir den einen Arm geliehen hatte und also zur Einarmigen geworden war, wohl wirklich der Warnung des Radios entsprechend still ausstrecken im Bett. Ich wünschte dem Mädchen, dem Körper dieses einen Arms, daß es einen friedlichen Schlaf fände.
Um die Straße zu überqueren, drückte ich meine linke Hand von der Außenseite des Regenmantels her auf den
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