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Träume in Kristall

Träume in Kristall

Titel: Träume in Kristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasunari Kawabata
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es aus wie Flammen, und als es schließlich deutlicher wurde, war es ihre Liebe zu Imamura. Selbst das Gefühl dafür, daß sie sich schämen müßte, wenn die nicht mehr zu bändigende übergroße Liebe einmal plötzlich hervorbräche, wenn ihre Stimme verdächtig zu schwanken anfinge, – es war ihr jetzt abhanden gekommen. Dieser wilde Strom schien auch in Imamura zu fließen. Auch in Imamuras Augen flackerte Leidenschaf auf. Daß Tsuruko eine Hand ausgestreckt hatte und mit ihr die Knöpfe auf Imamuras Brust berührte, bemerkte sie selbst nicht eher, als bis Imamura sich mit einem Seufzer zu ihr herunterbeugte.
    »Nein, bitte …« Rasch zog Tsuruko ihre Hand zurück, und auch ihre Augen versuchte sie abzuwenden; die aber hielt Imamura mit seinen Augen gefangen, so daß zur Flucht keine Gelegenheit mehr war. »Ah«, dachte Tsuruko einen winzigen Augenblick lang, »bin ich wieder dabei, in einen Fluß hineinzulaufen, daß es nur so spritzt!« Und da sie es anders einfach nicht mehr ertragen konnte, zog sie plötzlich die Decke über ihren Kopf.
    Nach einer Weile legte Imamura zärtlich seine Hand dort auf die Decke, wo unter ihr Tsurukos Brust war. Mit ihrem ganzen Körper empfand sie in dieser sanften Last den Menschen Imamura.
    Das war eine lange Zeit und war auch wieder nur wie der Bruchteil eines Augenblicks.
    »Ich gehe also jetzt.«
    »Verzeih mir«, murmelte Tsuruko mit halb geöffneten Lippen.
    »Im Rechnen übrigens warst du ihr bestimmt überlegen.«
    »Das ist wahr«, sagte Tsuruko unwillkürlich mit lauter Stimme, und gleichzeitig erinnerte sie sich an einen Vorfall, der sich ereignet hatte, als sie in der fünfen Volksschulklasse war. »Das verstehe ich nicht, das verstehe ich nicht«, hatte am Tisch die ältere Schwester, wütend auf sich selber, hervorgestoßen, worauf Tsuruko ihren Ball weggelegt hatte und auf den Knien näher gerutscht war. Sowie sie sah, daß es um ihr Lieblingsfach, ums Rechnen ging, sagte sie: »Zeig mir doch mal.« »Was du kannst, kann ich noch allemal.« »Ich will ja nur mal sehen.«
    Schweigend schob ihr die Schwester das Rechenbuch zu und drückte ihren Bleistif auf die Stelle mit der Aufgabe. Tsuruko hockte auf der Tatami-Matte, vornübergebeugt; begeistert rechnete und schrieb sie drauflos. »So stimmt es.«
    Die Schwester verglich die Ausrechnung mit dem Lehrbuch, neigte schließlich unter einem wie beschämten Lachen den Kopf ein wenig zur Seite, und dann, während sie sich mit dem Oberkörper über den Tisch warf und beide Arme um ihren Kopf legte, begann sie laut zu schluchzen: »Imamura-san kann es aber noch viel besser, noch viel besser kann er es!«
    Tsuruko wandte sich achselzuckend ab und kehrte zu ihrem Ball zurück. Und warf ihn hoch, so hefig, als sollte er bis in den Himmel fliegen. Was die Schwester sagte, mochte sie nicht glauben. »Ach, war das wirklich so?«
    Jetzt erst, bei der Erinnerung an jenen Vorfall, begriff Tsuruko und erschrak, daß es ihr den Atem verschlug: »Hat also meine Schwester Imamura-san geliebt!«
    Warum hatte sie davon nie auch nur das geringste bemerkt? Tsuruko fühlte sich in eine abgrundtiefe Schlucht geschleudert, aber auch so etwas wie ein Lächeln stieg heiß in ihr auf.
    Da sagte Imamura, während er den Regenmantel überzog: »Hast du eigentlich wieder von deiner Schwester geträumt?«
    »Nein, jetzt habe ich sie ganz überwunden.« »Das ist gut.«
    »Nun überwinde aber auch du meine Schwester. Als du neulich davon sprachst, ging es also dich selber an …« antwortete Tsuruko insgeheim in ihrem Herzen und schob auf einmal den Kopf unter der Decke hervor und sagte laut: »Wenn es da ist, werde ich dem Kind den Namen geben.«
    »Ja, das hat Sakiko vor einigen Tagen auch gesagt: den Namen möchte sie dir überlassen.«
    Noch nachdem Imamura gegangen war, durchströmte Tsuruko die warme Heiterkeit eines unbestimmten Glücksgefühls. Obwohl sie nun von der Jugendliebe zwischen ihm und ihrer älteren Schwester wußte, war sie ihm deswegen doch nicht gram. Sie selbst hatte sich ja einen Augenblick lang mit Imamura im Gefühl der Liebe gefunden, und empfand das dennoch nicht als ein Verbrechen an Sakiko. Schließlich wußte Tsuruko jetzt deutlicher, als es zu begreifen war, wie sehr Imamura Sakiko liebte. (933)

    Ein Arm

    »Den einen Arm könnte ich dir ja für eine Nacht leihen«, sagte das Mädchen. Löste hierauf den rechten Arm aus der Schulter, faßte ihn mit der linken Hand und legte ihn auf meinen Schoß.
    »Danke.«

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