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Träume in Kristall

Träume in Kristall

Titel: Träume in Kristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasunari Kawabata
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unterbrochenen Einsamkeit; aber ist denn, was man Einsamkeit nennt, nicht auch etwas, das existiert? Nun war ich freilich an diesem Abend, an dem ich heimkam mit dem Mädchenarm, keineswegs allein; gerade deshalb jedoch bedrohte mich meine hier eingeschlossene Einsamkeit.
    »Geh nur voran!« sagte ich, als die Tür endlich doch
    auf war, und holte den Mädchenarm unter dem Regenmantel hervor. »Willkommen also! Das ist meine Behausung. Ich werde Licht machen.«
    »Du scheinst dich vor irgend etwas zu fürchten, wie?«
Das hörte sich an, als hätte es der Mädchenarm gesagt.
»Ist hier denn jemand?«
»Ach, kommt es dir so vor?«
»Dieser Geruch …«
    »Geruch? Es wird mein Geruch sein. Steht da nicht in der Dunkelheit undeutlich mein großer Schatten? Schau genau hin! Möglicherweise hat mein Schatten auf meine Rückkehr gewartet.« »Es ist aber ein süßlicher Duf.«
    »Ah, dann ist es der Duf der Magnolie«, sagte ich erleichtert. Wie gut, daß es nicht der Geruch meiner dumpfen, schmutzigen Einsamkeit war. Ja, um den hübschen Gast willkommen zu heißen, erwies es sich als ein glücklicher Zufall, daß ich die Magnolienknospe aufgestellt hatte. Nun waren meine Augen an das Dunkel einigermaßen gewöhnt. Selbst im Stockfinstern wußte ich aus allabendlicher Erfahrung, was sich wo befand.
    »Laß dir bitte einmal von mir Licht machen«, sagte, ohne daß ich auf so etwas gefaßt gewesen wäre, der Mädchenarm. »Wo es doch deine Wohnung ist, die ich zum erstenmal besuche.«
    »Gern. Das wäre Heb von dir. Tatsächlich hat hier bisher noch nie jemand außer mir Licht gemacht.« Ich hielt den Mädchenarm so, daß er mit den Fingern den Schalter neben der Tür erreichte. An der Zimmerdecke, auf dem Tisch, am Kopfende des Bettes, in der Küche, im Bad, – alle fünf Lampen gingen gleichzeitig an. Waren sie jemals so hell gewesen? Ganz neu wirkten die Lampen in der Wohnung auf meine Augen.
    Die Magnolie in der Glasvase hatte ihre große Blüte ganz geöffnet. Am Morgen war es eine Knospe gewesen. Zwar schien sie eben erst aufgegangen, doch hatte sie ihre Staubfäden über den Tisch verstreut. Das kam mir seltsam vor, und ich schaute weniger die weiße Blüte an als die herumliegenden Staubfäden. Sowie ich einige davon aufnahm und genauer betrachtete, begann der Mädchenarm – ich hatte ihn auf dem Tisch abgelegt – seine Finger zu bewegen, so daß sie sich wie Spannerraupen bald streckten, bald zusammenzogen, um so die Staubfäden aufzusammeln. Ich ließ sie mir von der Mädchenhand geben, stand auf und warf sie in den Papierkorb.
    »Wie mir dieser strenge Blütenduf in die Haut eindringt. Hilf mir doch …« rief mir der Mädchenarm zu.
    »Freilich, es war für dich unbequem auf dem Weg hierher, da wirst du erschöpf sein. Du solltest dich eine Weile ausruhen.« Damit hob ich den Mädchenarm aufs Bett und setzte mich daneben. Und streichelte ihn zärtlich.
    »Hübsch ist das, so was macht mir Freude.« Es war wohl die Bettdecke, die der Mädchenarm ›hübsch‹ nannte. Sie hatte ein dreifarbiges Blumenmuster auf wasserblauem Grund. Ich gebe zu, allzu auffällig für einen alleinstehenden Mann. »Hier also werden wir diese Nacht verbringen. Ich will auch ganz artig sein.« »Wirklich?«
    »Ich werde neben dir liegen, als ob nichts neben dir läge.« Und die Mädchenhand griff verstohlen nach meiner Hand. Ich sah, daß die Fingernägel sorgsam poliert und in einem zarten Nelkenrot gefärbt waren. Länger als die Fingerkuppen, ragten die Nägel über sie heraus.
    Gegen meine kurzen, breiten und zudem dicken Nägel waren die Nägel des Mädchens in ihrer Form von einer so wunderbaren Schönheit, daß man sie kaum für die Nägel eines menschlichen Wesens hielt. Ob die Frauen eben mit solchen Fingerspitzen die Tatsachen ihrer menschlichen Existenz zu überwinden suchen? Oder wollen sie damit ergründen, was es heißt, daß sie Frauen sind? Abgegriffene Metaphern kamen mir in den Sinn wie: ›Vom inneren Muster durchglühte Muschelschalen‹ oder ›vom schwankenden Schimmer überflogene Blütenblätter‹; jedoch vermochte ich mich keiner Muschelschalen oder Blütenblätter zu entsinnen, die wirklich in Farbe und Form den Nägeln des Mädchens geglichen hätten, ja, die Fingernägel an dieser Mädchenhand glichen nur sich selber. Sie schienen noch durchsichtiger als kleine, zerbrechliche Muschelschalen, als dünne Blütenblättchen. Und vor allem erinnerten sie an die Tauperlen leidvollen Geschicks. Tag und Nacht

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