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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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Kuhherde. Das war nicht Sussex, denn die Sonne brannte zu heiß, und die Erde war blutrot.
    Er musste ohnmächtig geworden sein, denn nun spürte er ein kühles Tuch auf dem Gesicht, und lindernde Salbe wurde auf die offenen Wunden aufgetragen, die über den ganzen Körper verteilt waren. »Na also«, sagte eine weibliche Stimme. »Trink einen Schluck, dann geht es dir gleich besser.«
    Jack Quince trank gierig von dem kalten Wasser und schaute dann auf in ein Paar blaue Augen. »Bin ich im Himmel?«, fragte er halb scherzend. Seine Stimme war ihm nach all den Monaten des Schweigens fremd.
    »Weit gefehlt.« Über die Lippen huschte ein geisterhaftes Lächeln. »Aber es ist nicht ganz die Hölle, aus der du kommst.«
    Jack trank noch einen tiefen Schluck Wasser und musste eine Pause einlegen, weil sein Magen rebellierte. Er wusste, dass der Magen sich beruhigen musste, doch hatte er bereits das Gefühl, als kehre Leben in seine Innereien zurück. Sie wartete, bis er fertig war, und reichte ihm eine Schüssel mit Brot und Milch. Langsam kaute er darauf, genoss den Geschmack und das Gefühl im Mund, zuckte jedoch zusammen, als die harte Kruste lockere Zähne abbrach und sein fauliges Zahnfleisch zerkratzte.
    »Ich bin Jack Quince«, sagte er, als sie sich abwenden wollte. »Wie heißt du?«
    »Nell«, erwiderte sie und schenkte ihm ein so strahlendes Lächeln, dass ihm warm ums Herz wurde. »Bis später, Jack.«
    Susan konnte nicht glauben, was sie sah. Die Leichen von Männern, Frauen und Kindern wurden von der Neptune und der Scarborough über Bord geworfen. Halbtote Menschen tauchten aus den Laderäumen auf Händen und Knien auf, zu schwach, um zu laufen, zu eingeschüchtert, um zu sprechen. Einige starben, sobald sie ins Sonnenlicht kamen, andere lagen nur an Deck und warteten darauf, an Land getragen zu werden. Das von Peitschenhieben gezeichnete Fleisch spannte sich über Rippen und Wirbelsäule, und an Hand- und Fußgelenken waren da, wo sich die Fesseln tief eingeschnitten hatten, weiße Knochen zu sehen.
    »O mein Gott«, hauchte sie, als der Gestank zu ihr herüberwehte. Sie bedeckte Mund und Nase mit einem Taschentuch.
    »Der liebe Gott wird den armen Seelen nicht helfen«, sagte eine vertraute raue Stimme. »Komm, Susan, machen wir uns an die Arbeit.«
    »Du hast recht«, murmelte Susan, die gegen die Übelkeit ankämpfte und die Ärmel aufrollte. »Geh vor, Nell.« Sie folgte Billys Freundin und stapfte über den Strand zu den Krankenzelten und der provisorischen Leichenhalle.
    Der Gestank war entsetzlich; die Toten wurden gestapelt, um in der tiefen Grube beerdigt zu werden, die einige Sträflinge bereits aushoben. Sie arbeiteten mit Soldaten zusammen, um die Männer und Frauen aus den Laderäumen zu befreien, und Susan eilte hinzu, um jene tragen zu helfen, die nicht gehen konnten, und den Sterbenden Wasser zu geben. Billy bellte Befehle wie ein Oberfeldwebel, während weitere Zelte aufgebaut und Männer in den Busch geschickt wurden, um Kängurus und Wallabys zu jagen. Kühe und Ziegen wurden gemolken, damit die Kinder Milch bekamen.
    Im Laufe des Tages hörte sie bei der Arbeit, dass man die Nahrungsmittel von den Versorgungsschiffen an Land gebracht und rasch unter Verschluss genommen hatte, wo sie von Bewaffneten bewacht wurden. Zwischen Siedlern und Sträflingen brachen keine Streitigkeiten aus, unter den Überlebenden der Ersten Flotte herrschte nur der stille, verzweifelte Wunsch, möglichst viele Menschen der Zweiten Flotte zu retten.
    Susan arbeitete mit den anderen zusammen bis tief in die Nacht. Sie hatten nur eine Pause eingelegt, um über dem Massengrab, das Billy mit ausgehoben hatte, zu beten. Jetzt war sie am Rande des Zusammenbruchs. Geschwächt durch den Nahrungsmangel und gebeugt unter der Hitze und den schrecklichen Dingen, die sie auf Bitten des Arztes hatte tun müssen, ging sie ihren Aufgaben bereitwillig nach. Sie waren Balsam für ihre Seele. Endlich hatte sie das Gefühl, etwas Gutes zu tun.
    Sie ging von Sträfling zu Sträfling, reinigte ihre Wunden von Maden und gab ihnen zu essen und zu trinken. Den Abscheu vor den Männern, die solche grässlichen Verbrechen an diesen wehrlosen Männern, Frauen und Kindern verübt hatten, vermochte sie kaum zu verhehlen. Im ganzen Leben hatte sie eine solche Unmenschlichkeit oder Erniedrigung noch nie gesehen. Es war, als habe Gott die im Stich gelassen, die seiner Hilfe am meisten bedurften.
    Als die Morgendämmerung heraufzog, schickte

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