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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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das Wasser in der Bucht war so tief, dass die Schiffe sehr nah herankamen.
    »Was ist los?«, fragte er Gilbert.
    Gilbert tupfte sich den Mund mit einem Taschentuch ab. Er hatte sich übergeben, man sah noch Spritzer auf seinen abgetragenen Stiefeln. »Ich habe im ganzen Britischen Weltreich an Feldzügen teilgenommen, aber so etwas Furchtbares habe ich noch nie gesehen«, brachte er schließlich hervor. Mit blutunterlaufenen Augen schaute er Billy an. »Es ist eine Todesflotte«, keuchte er. »Die Laderäume sind voll mit Toten und Sterbenden, aneinandergekettet, verhungert und mit jeder nur menschenmöglichen Krankheit behaftet.«
    Billys Magen verkrampfte sich. Er hatte das Leben in den Laderäumen erfahren und überlebt, so interessierte ihn viel mehr, wann die Vorräte an Land gebracht würden. »Was ist mit den Nahrungsmitteln?«
    Gilbert ließ die Schultern hängen. »Das Versorgungsschiff, die Guardian , ist untergegangen«, sagte er mit leiser Stimme und der Haltung eines geschlagenen Mannes. »Die Scarborough und die Justinian haben ein paar Vorräte dabei, aber sie reichen nicht annähernd aus, nicht bei so vielen Neuankömmlingen.« Er seufzte. »Gouverneur Phillip hat ihnen befohlen, auf Abstand zu bleiben, bis die drei Gefangenentransporte entladen sind. Wir wollen keine Plünderung riskieren.«
    »Wie viele erwarten wir denn?« Zum Schutz vor dem gleißenden Sonnenschein schirmte Billy sich die Augen mit einer Hand ab und beobachtete, wie die fünf Schiffe sich langsam dem Land näherten und die Anker warfen.
    »Eintausendundsiebzehn Sträflinge, dazu noch die Mannschaften.«
    Billy fluchte kaum hörbar. »Damit wird meine Arbeit noch schwerer. Schlimm genug, die diebischen Mistkerle von den Vorratslagern fernzuhalten, da brauchen wir nicht noch mehr, die eine anständige Mahlzeit haben wollen.«
    »Die werden mehr brauchen als nur etwas zu essen«, erwiderte Gilbert und streckte die Schultern. »Wir müssen Unterkünfte und medizinische Versorgung für sie zur Verfügung stellen. Kümmere dich darum, Billy. Und mach voran! Die erste Gruppe ist bald an Land.«
    Billy schaute sich zu Gilbert um, der an dem kleinen Holzanleger stand, die Füße fest auf dem Boden, die Hände hinter dem Rücken verkrampft. Er war offensichtlich entschlossen, sich seine tiefe Verzweiflung, seine Empörung und seinen Abscheu nicht anmerken zu lassen, doch Billy merkte sehr wohl, dass sein Wohltäter das Rückgrat versteifte, als die Surprise vor Anker ging. Die Ironie ihres Namens war keinem von beiden entgangen, und Billy konnte selbst aus der Entfernung sagen, dass das Schiff leck war – und in der tropischen Hitze von Port Jackson war der Gestank nach Tod, stehender Bilge, fauligem Holz und Körperausscheidungen unbeschreiblich.
    Auch aus den Augen des Gouverneurs sprachen Schmach und Ekel, während er Gilbert ein Zeichen gab, dass sie als Erste an Bord der Surprise gehen sollten. Billy kam die Galle hoch bei der Vorstellung, welcher Anblick ihn erwartete, und als die Luke an Deck aufgemacht wurde, traf ihn der Gestank wie ein Schlag ins Gesicht. Er wollte sich schon abwenden, als die Stimme des Gouverneurs ertönte.
    »Schafft diese Gefangenen auf der Stelle an Land«, brüllte Phillip die Matrosen an, die nichts Besseres zu tun hatten, als den Frauen am Strand lüsterne Blicke zuzuwerfen und zu pfeifen. »Wo sind der Arzt und der Kommandant? Bei Gott, ich werde sie für diese Pflichtvernachlässigung auspeitschen lassen.«
    Mit diesen Worten stürmte der Gouverneur von der Surprise und steuerte die Neptune an.
    »Ich werde Arschtritte verteilen, und der Befehlshaber der Flotte steht ganz oben auf meiner Liste«, brüllte Arthur Phillip.
    Jack Quince spürte, wie die Fußfesseln abfielen, doch er war zu schwach, auf die Beine zu kommen. Einen Moment lang mühte er sich ab, dann entspannte er sich, als zwei starke Arme ihn aus dem Dreck des Schiffsbauches hoben und ihn an die frische Luft trugen. Das Sonnenlicht blendete, so dass er das Gesicht in beiden Händen vergrub, doch der köstliche Duft nach Wachstum lag in der Luft, und er atmete tief durch. Er roch Gras und Heu, Pferde, Hunde, Schafe und Rinder, und einen Augenblick lang fragte er sich, ob er gerettet war oder ob der Tod ihn wieder nach Sussex gebracht hatte.
    Er nahm kaum wahr, wie man ihn an Land brachte, und als seine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten, sah er primitive Holzgebäude, einen Wald von Zelten, eine Kirche und sogar eine grasende

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