Träume jenseits des Meeres: Roman
gütig in der Sonne, jetzt da seine furchtbare Gewalt gezähmt und der Sturm vorüber war.
Die von der Flotte übrig gebliebenen Fischerboote dümpelten unten im Hafen vor Anker, die Netze und Fischkörbe im Bug gestapelt. Das Dorf war still und düster, denn die Bewohner der Katen waren den vertrauten, gewundenen Pfad hinaufgegangen, den sie jeden Sonntag beschritten, um zu hören, wie Ezra Collinson die Seelen der Verstorbenen Gott anvertraute.
Ezra hatte die Gemeinde vor einem Jahr übernommen. Er war ein alleinstehender Mann von unbestimmbarem Alter – die Allgemeinheit war jedoch zu dem Schluss gekommen, dass er auf die dreißig zuging und daher dringend eine Frau brauchte. Mit dem dunklen Haar und den dunklen Augen hätte er eigentlich gut aussehen müssen, doch seine Nase war zu lang, und seine schwermütige Miene verzog sich nur selten zu einem Lächeln. Der geschmeidige Körper mit den langen Gliedmaßen im schwarzen Überzieher war zu einem vertrauten Anblick geworden, wenn er über die Hügel und am Ufer entlangtrottete. In der Kirche ein mitreißender Redner, schien er sonst so in seiner Berufung aufzugehen, dass er kaum Zeit für Geselligkeit hatte, es sei denn, Lady Cadwallader befahl, er möge sich im Herrenhaus blicken lassen.
Die Worte ihres Pastors klangen noch in ihren Ohren, als die Gemeindemitglieder sich langsam von den harten Bänken erhoben und zur Tür schlurften, wobei die Holzpantinen auf dem kalten Steinboden klapperten. Draußen machten sie sich an den steilen Abstieg ins Tal zum Dorf hinunter. Sie hatten versucht, seiner Predigt etwas Aufmunterndes zu entnehmen, doch das Himmelreich schien von der Realität des Lebens ohne ihre Söhne und Ehemänner sehr weit entfernt. Es war, als hätte Gott sie verlassen: Auch der stärkste Glaube würde ihre Männer nicht wieder nach Hause bringen oder ihr Leben erleichtern.
»Es ist nicht richtig, dass wir keine Leichen zu Grabe tragen können«, jammerte Maud, als sie den düsteren Kirchenraum verließen und in die Sonne hinaustraten. »Wie sollen wir denn trauern, wenn wir keinen Beweis dafür haben, dass sie tot sind?«
Susan gab den anderen zu verstehen, sie sollten ohne sie zurückgehen. Dann nahm sie Mauds Ellenbogen, als ihre Mutter sich unter dem bellenden Husten krümmte. Sie hatten diese Unterhaltung schon einmal geführt, noch immer wollte ihre Mutter nicht einsehen, dass ihre Männer tot waren. »Es ist über eine Woche her«, murmelte sie im kornischen Dialekt, den sie untereinander noch immer benutzten. »Für unsereinen geschehen keine Wunder.«
Maud wischte sich mit einem Tuch den Mund ab und sank dankbar auf ein Büschel Hartgras, so dass der schäbige schwarze Rock sich aufblähte. »Ich weiß«, keuchte sie. »Aber ich kriege es einfach nicht in den Kopf, dass sie wirklich und wahrhaftig tot sind. Dass ich sie nie wiedersehen werde.« Der Schatten ihrer schlichten schwarzen Haube verschleierte ihr Gesicht, als sie in Tränen ausbrach.
»Ihr werdet sie im Reich Gottes sehen.« Ezra Collinson war unbemerkt herangetreten. Er legte Maud eine tröstende Hand auf die Schulter, das bleiche, schmale Gesicht in Sorgenfalten gelegt. »Sei fest im Glauben, Schwester.«
Maud schaute zu ihm auf; die blassblauen Augen schwammen in Tränen. Ihr Gesicht war aschfahl bis auf die hellroten Flecken, die durch das Fieber auf ihren Wangen entstanden waren. »Es ist nicht leicht, den Glauben zu wahren, Mr. Collinson«, sagte sie auf Englisch mit starkem Akzent. »Er bezahlt weder die Miete, noch ernährt er die Familie. Und den Schmerz lindert er auch nicht.«
»Irdische Bürden müssen in der sicheren Erkenntnis ertragen werden, dass wir damit unseren Platz zur rechten Seite Gottes verdient haben«, erwiderte der Geistliche. Seine bleichen, zarten Finger klammerten sich an die Ränder seines langen schwarzen Rocks, so wie bei der Predigt in der Kirche. »Gott prüft nur unseren Glauben.«
Susan hatte genug von diesem Gewäsch. Sie hatte sich mit diesem Mann nie recht anfreunden können, hatte nicht verstanden, wie er die Armut und schiere Verzweiflung seiner Gemeinde in Zeiten wie diesen ignorieren konnte. »Wir haben genug zu tragen, Mr. Collinson«, fuhr sie ihn an. »Wenn Gott so liebevoll ist, wie Sie sagen, warum hat Er uns dann unsere Männer genommen? Warum prüft Er uns überhaupt?«
Die eingefallenen Wangen wurden rot, während die dunklen Augen ihrem wütenden Blick auswichen. »Er hat Seine Gründe«, lautete die Antwort. »Es
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