Träume jenseits des Meeres: Roman
steht uns nicht zu, sie in Frage zu stellen.« Er klopfte Maud noch einmal auf die Schulter und schritt mit flatternden Rockschößen über den Kirchhof zu seinem Haus. Mit seinem festen Schuhwerk hatte er mit dem steinigen Grund zwischen dem Gras keine Probleme.
»Du solltest nicht so mit dem Pfarrer reden«, schimpfte Maud, die sich mühsam aufrichtete und Rock und Haube richtete.
»Was weiß der denn schon von Belastungen, wenn er in dem Haus da wohnt und einen Diener und eine Haushälterin hat, die um ihn herumwuseln? Er ist sein ganzes Leben lang keiner ehrlichen Arbeit nachgegangen, trotzdem predigt er von Bürde und Leid, als würde er davon was verstehen. Sieh dir doch nur seine Hände an – weich wie die der vornehmen Lady.«
Maud packte ihren Arm und stützte sich schwer ab, um Luft zu holen. Der Kummer hatte sie gebeugt, hatte ihr die frühere Lebensenergie entzogen und sie altern lassen. Dennoch war sie erst Anfang vierzig, das dunkelbraune Haar hatte erstaunlich wenig graue Strähnen. »Er ist ein guter Mann, Susan«, keuchte sie. »Du tätest gut daran, wenn du es dir für später merken würdest.«
Stirnrunzelnd zog Susan sich den Schal über die vom Wind zerzausten Haare und entspannte ihren Brustkorb unter dem engen Mieder. Sie hatte bereits alle Nähte ausgelassen, und nun blieb ihr nichts anderes übrig, als möglichst flach zu atmen. »Wieso?«
Maud wurde von einem Hustenanfall bis ins Mark geschüttelt, so dass sie nicht antworten konnte. Die Nacht am Kai hatte ihren Preis von einer gesundheitlichen Verfassung gefordert, die ohnehin durch die schwere Arbeit an den Tischen, an denen Fische ausgenommen wurden, und an den Heringsfässern angeschlagen war. Als sie schließlich sprechen konnte, tröpfelten ihre Worte wie Eiswasser über Susans Rücken.
»Er kommt heute zu uns und wird um deine Hand anhalten.«
Susan glaubte sich verhört zu haben; doch blitzte in Mauds Augen ein entschlossenes Leuchten auf, an dem sie sah, dass sie ihre Mutter richtig verstanden hatte. »Du hast Fieber«, sagte sie, nervös lachend. »Du weißt nicht, was du sagst.«
Maud klammerte sich noch fester an Susans Arm und zwang sie, durch das hohe Gras zum Pfad zu gehen, der sie zurück ins Dorf führen würde. »Vor zehn Tagen hat er mit deinem Vater gesprochen«, sagte sie, und bei der Erwähnung ihres Mannes brach ihr die Stimme. »Wir haben darüber geredet, und ich wollte es mit dir besprechen, als dein Vater … dein Vater und die Jungen …«
Sie verstummte. Beide dachten sie an den letzten Morgen, an dem ihre Männer früh aus dem Haus gegangen waren, um den Sardinenschwarm zu fangen, der weit vor der Landspitze gesichtet worden war.
»Ich will ihn nicht heiraten.« Susan stand aufrecht im Gras, das rauschend um die schrägen Grabsteine und Granitdenkmäler schwankte. Sie verschränkte die Arme, während ihre Röcke die Pollen von den Wildblumen fegten. »Keine zehn Pferde würden mich dazu bringen.«
Maud schaute sie lange an. »Du warst schon immer ein eigenwilliges Mädchen«, sagte sie schließlich. »Aber es wäre klug, wenn du dir seinen Antrag wenigstens überlegen würdest.« Bevor Susan etwas erwidern konnte, zog Maud sie am Arm und setzte ihren Weg fort.
Susan ließ ihren Blick über das Meer hinab zu den winzigen weißen Häusern wandern, die sich im Windschatten des engen Tals drängten. Sie konnte Ezra unmöglich heiraten. Lieber würde sie sterben. Allein bei dem Gedanken an das schwermütige Gesicht, an die weichen weißen Hände, die wahrscheinlich kalt und klamm wären, wurde ihr übel. Wie konnten ihre Eltern nur eine solche Verbindung erwogen haben, obwohl sie doch wussten, wie sehr sie Jonathan liebte?
»Ezra Collinson hat Beziehungen«, sagte sie schließlich. »Er ist der jüngste Sohn des Earls von Glamorgan. Obwohl er das Familienvermögen nicht erben wird, hat er ein gepflegtes Einkommen aus einem Treuhandvermögen seiner Großmutter sowie sein Gehalt als Pfarrer. Du hättest ausgesorgt, mein Kind, und müsstest nie wieder an den Netzen oder den Salzfässern arbeiten.«
»Du scheinst ja bestens informiert, Mutter, aber es nutzt nichts«, entgegnete sie. »Meinetwegen könnte er Schatztruhen voller Gold haben, trotzdem wollte ich ihn nicht.« Sie nahm sich den Schal vom Kopf und ließ die Haare im Wind flattern, der vom Meer her wehte. Sie hatte Tränen in den Augen, wollte ihrer Mutter aber um keinen Preis zeigen, wie sehr ihr die Aussicht zuwider war, einen so humorlosen
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