Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
Vom Netzwerk:
Maud schüttelte nur den Kopf.
    Susan betrachtete ihren jüngsten Bruder. Der Anblick schmerzte sie. Billy kämpfte gegen innere Dämonen und versuchte mit aller Macht ein Mann zu sein, hegte aber doch alle Ängste eines Kindes, dessen Welt zusammenzubrechen drohte. Da sie keine Worte des Trostes für ihn fand, legte sie die Arme um ihn und zog ihn trotz seines Widerstandes zu sich heran. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und hielt ihn so leidenschaftlich fest, wie ihre Mutter es getan hatte; erst als er sich mit einer Grimasse von ihr löste, dachte sie, dass er für diese Umarmung tatsächlich zu alt war. Sie schaute ihm nach, wie er sich entfernte, um sich in einen Eingang in der Nähe zu kauern und den Hafen zu beobachten.
    Die vier Boote lagen an der Leeseite des Strandes, in sicherer Entfernung von den schweren Wellen, die durch die schmale Hafeneinfahrt donnerten und unablässig am Strandkies leckten. Bis auf die schwachen Lichter der Laternen war es stockdunkel, das Heulen des Windes erstickte das leise Weinen der Frauen. Sie fühlte Enttäuschung und Hilflosigkeit, bis blanke Wut sie überkam. Wie gern würde sie eins dieser Boote vom Kies holen und Segel setzen, um nach ihnen zu suchen. Aber sie wusste, dass mit Verwegenheit nichts zu gewinnen war. Sie konnte nur warten.
    Mühsam drang der erste Schimmer der Morgendämmerung durch die schweren Wolken, wässrige Strahlen einer schwachen Sonne, die den ruhelosen Ozean silbrig überzogen, der jetzt nicht mehr ganz so wild gegen die graue Hafenmauer toste. Susan hatte den Rest der Nacht schlecht geschlafen, stets zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankend, als die Nachricht eintraf, dass es zwei weitere Boote und acht Männer in den Hafen geschafft hatten, die Penhalligans aber waren nicht darunter.
    Krank vor Angst und Schwäche, erhob sie sich von der Bank am Kamin und ging aus dem Haus. Der Regen hatte aufgehört, und obwohl der Wind an ihr zerrte, als sie die schmale Pflasterstraße zum Kai hinunterging, war es nicht mehr so schneidend kalt. Die Sonne leuchtete auf dem nassen Pflaster, Möwen schrien, und das Meer zischte über den Kies. Im Hafen lagen keine Boote mehr, denn die Männer waren beim ersten Tageslicht ausgefahren, um nach Überlebenden zu suchen.
    Susans Mund wurde trocken und ihr Herz pochte, als sie die einsame Gestalt an der niedrigen Mauer sitzen sah, die vor den Katen herführte und zum Kai gehörte. Maud war zwar kurz vor Tagesanbruch nach Hause gekommen, um sich trockene Sachen anzuziehen, doch ihr Gesicht war aschfahl gewesen, und ein bellender Husten hatte ihre schmale Brust zerrissen. Trotz Susans inständiger Bitten hatte sie sich geweigert, drinnen zu bleiben.
    »Wo sind die anderen?«, erkundigte Susan sich nach den Frauen und Freundinnen ihrer Brüder. Die Sorge um die Mutter ließ ihre Stimme schärfer klingen als beabsichtigt.
    »Ich habe sie zu ihren Müttern nach Hause geschickt«, sagte Maud. »Sie kommen bald wieder.«
    »Und Billy?«
    »Ist mit den Männern zur Suche ausgefahren.«
    Susan wusste, dass Billy trotz des gebrochenen Beins und seiner Angst vor dem Meer für sein Alter großen Mut zeigte. Sie konnte nur beten, er möge gesund zurückkehren.
    Der Tag zog sich hin, und als die verbleibenden Boote der Fischereiflotte von Mousehole nacheinander von ihrer ergebnislosen Suche zurückkehrten, wurde das Schweigen immer dichter.
    In jener Nacht schlug der Sturm noch einmal zu, und in der stillen, bitteren Morgendämmerung, die darauf folgte, sammelten die Frauen ihre Kinder und drehten dem Meer den Rücken zu. Mit ihren Männern war die Hoffnung gestorben. Die Zeit der Trauer war gekommen.
    April 1770, Tasmanische See
    In vier Monaten wären sie genau zwei Jahre auf See, und Jonathan würde seinen neunzehnten Geburtstag feiern. Er lag in seiner unbequemen Koje und hörte seinen Onkel schnarchen. Der Ärmste kränkelte, seit sie Neuseeland verlassen hatten, und Jonathan machte sich Sorgen. Der Schiffsarzt hatte sich die größte Mühe gegeben, doch Josiah Wimborne war kein Seemann; beim leichtesten Schlingern oder Stampfen der Endeavour wurde er grün im Gesicht und musste sich hinlegen.
    Wenn das Wetter sich nicht bald beruhigte, würde der alte Mann sterben, denn er hatte kaum etwas gegessen und konnte nur hin und wieder einen kleinen Schluck Wasser oder Brandy zu sich nehmen. Jonathan wurde kalt bei dem Gedanken, den Mann zu verlieren, der wie ein Vater für ihn war. Er hätte nicht darauf bestehen sollen, dass sie

Weitere Kostenlose Bücher