Träume jenseits des Meeres: Roman
Mann heiraten zu müssen. Hätte doch ihr Vater noch gelebt, um mit ihr darüber zu reden – er hätte sie niemals zu so einer Heirat gezwungen. Wäre doch Jonathan nicht zur See gegangen! Der Gedanke, mit einem anderen eine Ehe einzugehen – und dann auch noch mit Ezra Collinson –, ließ sie vor Wut, ja sogar vor Angst zittern. Sie würde Jonathan ein für alle Mal verlieren.
»Seit wann lehnt ein Mädchen wie du einen solchen Antrag ab?« Maud blieb stehen, der lange Rock schleifte durch den Staub, die Bänder ihrer Haube flatterten unter ihrem Kinn. »Du solltest inzwischen ein eigenes Zuhause haben, stattdessen hängst du immer noch diesem jungen Taugenichts Jonathan Cadwallader nach.«
»Er ist kein Taugenichts«, protestierte Susan.
Maud schürzte die Lippen. »Er ist weg, Susan, und selbst wenn er zurückkehrt, wird er nicht frei sein. Lady Cadwallader hat eine passende Frau für ihn gefunden: die Tochter einer Londoner Familie mit Rang und Namen.«
Susans Herz krampfte sich bei dem Gedanken zusammen, Jonathan könnte eine andere heiraten – sie hatte tatsächlich auf seine Rückkehr und die Erfüllung ihrer gegenseitigen Versprechen gewartet. »Seit wann zieht die hohe Lady dich ins Vertrauen?« Ihr Ton war scharf, voller Schmerz und Ungläubigkeit.
Maud zog eine Grimasse. »Das hat sie ja nicht. Aber wir liefen uns über den Weg, kurz nachdem Master Jonathan mit seinem Onkel zu dieser Expedition aufbrach. Sie bemerkte, sie sei froh über Jonathans mindestens zweijährige Abwesenheit. Das würde euch beiden Zeit geben, wieder zur Vernunft zu kommen; sie hoffte, du würdest unter den Männern im Dorf einen geeigneteren Mann finden.« Maud erlitt einen weiteren Hustenanfall. »Wir waren uns einig, dass sich deine Freundschaft mit Jonathan nicht mehr gehört, jetzt, da ihr beide erwachsen seid. Leute wie diese heiraten unsereinen nicht – das habe ich dir oft genug gesagt.«
Susan sah die hochnäsige Witwe geradezu vor sich, wie sie aufgeputzt in ihrer Kutsche sitzend auf ihre Mutter herabsah und wie Maud einfältig lächelnd vor ihr knickste. Was ihre Mutter sagte, stimmte: Zwischen ihnen lagen Welten, doch das hatte ihnen beiden nie etwas ausgemacht – der Beweis war sein Versprechen, sie zu heiraten.
Trotzig schob sie das Kinn vor. »Lady Cadwallader sollte sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern«, zischte sie. »Wen ich zum Mann nehme, geht sie nichts an, und wenn Jonathan hier wäre, würde er mir zustimmen.« Sie packte ihren Rock und hob den Saum aus dem Staub, als sie ihren Weg fortsetzten.
Maud schien zu ermüden, und ihre Schritte waren unsicherer, als sie den letzten, steilsten Teil des Klippenpfades überwanden. »Der junge Lord ist weit weg«, seufzte sie. »Seine Zukunft steht von dem Augenblick an, in dem er zurückkehrt, fest. Ich bin mir sicher, dass er sein Versprechen ernst meinte, doch trotzdem könnte er dich niemals heiraten.« Rasselnd holte sie Luft. »Die Lady war nur klug, meine Liebe. Und ausnahmsweise gebe ich ihr mal Recht.«
»Nur weil ihr das ganze Land hier gehört und wir Pacht an sie entrichten, heißt das noch lange nicht, dass sie ihre aristokratische Nase in unser Leben stecken kann.«
Maud lächelte traurig. »Doch, sie kann, wenn es ihren einzigen Sohn betrifft«, sagte sie leise. »Er ist ihr Ein und Alles.«
»Seine Lordschaft ist schon lange tot«, entgegnete ihre Tochter.
Maud überhörte die Spitze und redete weiter, als müsse sie alles loswerden, noch ehe sie ihre Kate erreichten. Vielleicht glaubte sie, dass ihre Zeit zu Ende ging. »Lady Cadwallader hat mich vor sechs Wochen noch einmal angesprochen. Sie erwähnte, dass Ezra Collinson an dir interessiert sei, und glaube mir, Susan, ich war ebenso erschrocken wie du zu hören, dass eine so hehre Persönlichkeit der Tochter eines Fischers den Hof machen wollte.«
Susan überlief es eiskalt, als sie Stolz in den Augen der Mutter aufglimmen sah. Jetzt war ihr alles klar. Sie blieb stehen und sah ihre Mutter an. »Lady Cadwallader hat einfach nur die richtigen Strippen gezogen, nicht wahr?« Ihre Stimme war leise. Unter der Oberfläche kochte Wut.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, murmelte ihre Mutter.
»Manche mögen Ezra Collinson ja für eine gute Partie halten. Er ist alleinstehend, hat eine gute Erziehung genossen und verfügt über Privateinkommen. Lady Cadwallader wusste, dass du dem Gedanken nicht widerstehen könntest, deine einzige Tochter mit einem solchen Mann zu
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