Träume jenseits des Meeres: Roman
vollbracht. Ihr kleiner Sohn würde sich nie an die liebevolle Umarmung seiner Mutter erinnern, würde aber die Gesichter seiner Eltern kennen und feststellen, dass das rote Mal auf seiner Haut ein Vermächtnis seines Vaters war. Langsam ließ sie das Leben von sich los, und als sie seufzend ihren letzten Atemzug tat, sank sie in die heimelige Leere der Dunkelheit, wo es kein Fieber, keinen Schmerz und keine irdischen Sorgen gab.
Fünf
Mousehole, April 1770
D
as Haus stand hinter der Kirche und war außer Sichtweite der Quadersteine aus Granit und Grünstein, die das Dorf fein säuberlich in zwei Hälften teilten. Es war hässlich und wenig anheimelnd, aus heimischem Granit erbaut. Von den Fenstern aus hatte man einen Blick über das vom Wind zerzauste Gras der Landzunge und den öden Friedhof, auf dem so viele Fischer und Seeleute ruhten. In den großen Räumen hallte jeder Schritt, ständig zog es unter den Türen her und durch die Fenster. Es war nur dürftig möbliert, und Ezra hatte sich daran gewöhnt, zwei Zimmer im Parterre und im ersten Stock das kleinste Schlafzimmer zu benutzen, von dem aus man über die Moore blickte. Jeden Tag kam eine Frau aus dem Dorf herauf, um zu kochen und zu putzen, und Higgins, sein Diener, bewohnte ein Zimmer neben der großen Küche – dem einzigen wirklich warmen Raum im Haus, denn im Herd brannte selbst in der Sommerhitze stets ein Feuer.
Ezra ging langsamer, als er sich dem Haus näherte, und obwohl er von seiner ergreifenden Predigt am Morgen noch beseelt war, verließ ihn der Mut bei dem Gedanken daran, was er an diesem Abend vorhatte. Der Zeitpunkt war gänzlich ungeeignet, sein Antrag unangebracht nach dem schrecklichen Verlust, den sie erlitten hatten. Er hatte versucht, die Vereinbarungen zu ändern, doch Maud Penhalligan hatte eigenartigerweise darauf bestanden, sie einzuhalten. Er war davon überzeugt, sich zum Narren zu machen.
Dabei fand er Susan Penhalligan reizvoll – durchaus –, doch sie hatte ihm am Morgen noch deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht leiden konnte, und er fürchtete sich vor ihrem Hohn. Hätte er sich doch nur nicht Lady Cadwallader anvertraut! Wenn sie ihn nur nicht zu diesem unseligen Antrag gedrängt hätte! Aber die Sache war inzwischen zu weit gediehen, so dass er keinen Rückzieher machen konnte, und Maud erwartete ihn um sieben.
Tief seufzend drehte er dem Haus den Rücken zu und schaute über die grüne Landspitze zum Meer. Außerhalb seiner Kirche war er von Natur aus ein scheuer Mann und hatte immer Schwierigkeiten gehabt, mit seinen Gemeindemitgliedern zu reden. Er wusste, dass er oft den Eindruck erweckte, kalt und distanziert zu sein. Dabei stimmte das nicht. Er war verlegen, wenn er mit ihrer furchtbaren Armut und der Art, wie sie Tragödien stoisch hinnahmen, konfrontiert war. So vertuschte er das herzzerreißende Mitleid, das er ihnen gegenüber empfand, und die Enttäuschung darüber, ihnen weder Trost noch Hilfe anbieten zu können. Er wusste, er würde immer ein Außenseiter bleiben: ein Fremder mit weichen Händen, gestelzten Manieren und Verbindungen zu Wohlhabenden – mit einer Neugierde ihnen gegenüber, die ihm von der Kirche auferlegt schien. Im Stillen aber wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass sie die Botschaft glaubten, die er ihnen vermittelte.
Ezra wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er zwei Frauen sah, die über den steilen Pfad ins Fischerdorf hinuntergingen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und sein Mund trocknete aus, denn es waren Susan und ihre Mutter in einer hitzigen Debatte. Für ihn stand fest, dass es um ihn ging, und bei dem Gedanken daran, was Susan wohl sagte, verkrampfte sich sein Magen.
Verachtete sie ihn? Sagte sie ihrer Mutter, sie würde einen solchen Antrag niemals in Erwägung ziehen? Konnte sie nicht über seine Befangenheit hinwegsehen und die Tiefe seiner Gefühle für sie erkennen? Andererseits, warum sollte sie? Er hatte sorgsam auf eine korrekte Distanz zwischen ihnen Wert gelegt, denn er war sich der Etikette und seiner Stellung in der Gemeinde bewusst. Sein Verhalten war höflich, vielleicht sogar unterkühlt gewesen, obwohl er sich danach sehnte, ihr in die Augen zu schauen und ungestört mit ihr zu reden. Die Gerüchteküche hätte gebrodelt, und Susan hatte ohnehin schon genug Lasten zu tragen.
Er wusste, er hätte weggehen sollen, konnte aber den Blick nicht von ihr abwenden. Susan hatte den alten Schal vom Kopf genommen, und nun wehte ihr
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