Träume jenseits des Meeres: Roman
Rücken, als die Urteile für die anderen Männer verkündet wurden. Sie reichten von sieben Jahren Zwangsarbeit und Deportation bis zum Tod durch den Strang. Zum ersten Mal im Leben begann Billy zu beten.
»William Penhalligan. Sie werden zu vierzehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt und auf dem Gefangenenschiff Chatham auf die Deportation warten.«
Deportation? Grundgütiger Gott, das würde er nicht überleben. Sein Magen rebellierte, und alle Alpträume seiner Kindheit kehrten zurück, als er sich die Schrecken dieser endlosen Seefahrt im Laderaum vorstellte. Der Strang wäre gnädiger gewesen. »Nein«, stammelte er und wehrte sich gegen den Gefängniswärter. »Keine Deportation. Bitte, schickt mich nicht …«
»Ruhe im Gerichtssaal.« Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch. »Schafft ihn hinaus.«
»Bitte, Sir. Macht das nicht. Die Deportation wird ihn umbringen.«
Billy warf einen Blick auf seine Schwester, die sich erhoben hatte. Ihr Gesicht war kreidebleich.
»Ruhe, Madam«, brüllte der Richter.
Billy sah ihre Tränen und war beinahe dankbar, dass ihn der Kerkermeister hinausschob, so dass er ihre Verzweiflung nicht mit ansehen musste.
Die Arrestzellen waren von Ungeziefer und Fliegen verseucht. Das Stroh war schmutzig, die Latrineneimer liefen über. Frauen weinten, Kinder schrien, und Männer stritten sich lautstark um eine hereingeschmuggelte Flasche Schnaps. Billy schaute sich nach Ben und den anderen um, doch man sagte ihm, sie seien bereits in ein anderes Gefängnis verlegt worden, wo sie auf ihre Hinrichtung warteten.
»Penhalligan! Beweg deinen Arsch hierher!«
Er schob sich durch die brodelnde Masse stinkender Menschenleiber zum Kerkermeister. »Was ist?«, murmelte er. Falls der Mann Geld für zusätzliches Essen oder Decken erwartete, dann musste er ihn bitter enttäuschen. Die Zöllner hatten ihm bis auf die Kleidung, die er am Leib trug, alles abgenommen.
»Besuch für dich«, sagte der Mann mit anzüglichem Grinsen und öffnete das verschlossene Tor.
Billy rutschte über die glitschigen Pflastersteine durch den großen Innenhof des Gefängnisses, in dem die Wohlhabenden für etwas mehr Freiheit innerhalb der Granitmauern bezahlen konnten. »Susan«, flüsterte er. »Das ist kein Ort für dich.«
»Du bist mein Bruder«, sagte sie, um Fassung bemüht. Sie umarmte ihn und brach in Tränen aus. »Ich habe versucht, ihn umzustimmen. Oh Billy, ich ertrage den Gedanken nicht, dass du deportiert wirst.«
Er gab sich größte Mühe, seine Gefühle im Zaum zu halten, doch der Anblick seiner niedergeschlagenen Schwester war zu viel. »Es wird schon«, murmelte er. »Wahrscheinlich werden sie mich jetzt, da sie uns nicht nach Amerika schicken können, einfach auf dem Gefangenenschiff schmoren lassen.« Es war ein schwacher Trost, und Billy glaubte nicht ein Wort.
»Meinst du wirklich?« Sie trat einen Schritt zurück und schaute ihm ins Gesicht.
Hoffnung schimmerte in ihren Augen, und er wollte nicht auf sich nehmen, ihre Verzweiflung zu vergrößern. »Ich bin mir sicher«, sagte er mit einer Festigkeit, die seine Angst Lügen strafte. »Jetzt wisch die Tränen ab, Schwesterherz, und zeig mir, was du da in dem Korb hast!«
Sie schnäuzte sich die Nase, hob den Saum ihres feinen Kleides aus dem Schlamm und zog ihren Bruder in eine stille Ecke, in der sie außer Hörweite der anderen Gefangenen waren. »Ich habe dem Wärter Geld gegeben, damit wir ungestört sind«, sagte sie, faltete eine Decke auseinander und legte sie auf das Stroh.
Mit wehem Herzen sah Billy zu, wie sie den Korb auspackte. Sie versuchte mit aller Macht, tapfer zu sein, doch kannte sie seine Angst vor dem Meer und wusste, dass eine Deportation für ihn Tod oder Wahnsinn bedeuten würde. Er zwang sich, seine Furcht beiseitezuschieben, und hörte, welche Neuigkeiten sie von zu Hause mitbrachte.
Nur wenige hätten vermutet, dass sie dreißig war, dennoch erinnerte die elegante Gestalt, die ihm gegenübersaß, kaum noch an das Mädchen, das am Kai gearbeitet hatte. Ihr Haar war glatt aus der Stirn nach hinten gekämmt und fiel zu beiden Seiten des Gesichts in Löckchen herab, Haube und Kleid waren von bester Qualität. Die klaren Augen und die weiche Haut fielen ihm auf: Zeit und äußere Umstände waren ihr gnädig gewesen. Sie war noch immer schlank, obwohl sie fünf Kinder zur Welt gebracht hatte, und ihre Taille war nur unwesentlich breiter als an ihrem Hochzeitstag.
»Du hast es richtig gemacht, Susan«,
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