Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum
nähere. Meine tierischen Instinkte sind geweckt und ich nehme die Verfolgung auf wie der Jäger bei seiner Beute. Einen der drei bekomme ich zu packen und falte ihn verbal zusammen. Ihm rutscht das Herz in die Hose und außer „¿Que he hecho?“ (was habe ich getan?) bekommt er kein Wort mehr gestammelt. Manchmal hat es echt seine Vorteile, knapp 2 Meter groß zu sein. Ich gehe zurück zum Zelt und lege mich wieder rein. Lucia ist sichtlich verängstigt und sagt mir nur, wie heil froh sie ist, dass sie heute Nacht nicht alleine hier schläft. Buju fängt wieder an zu bellen und die Schatten tauchen wieder auf. Im Bruchteil einer Sekunde stehe ich wieder vorm Zelt und diesmal ergreifen die anderen beiden nicht die Flucht. Zu dritt stehen sie da und starren mich an. Ich gehe auf sie zu, um die Sache zu klären, diesmal auch ein wenig beunruhigt, da ich nun wach bin und die drei deutlich in der Überzahl sind. Keine Ahnung, wie sie reagieren werden, ob sie aggressiv sind oder überhaupt einsichtig. Es sind drei Jugendliche, etwa 18-21 Jahre alt, die wohl zu der Gruppe gehören, die hier zuvor gesoffen hat und es nun für ungeheuer lustig empfinden, die Camper zu nerven. Neben unserem Zelt hat sich übrigens noch eine weitere Pilgergruppe mit ihrem Zelt niedergelassen, was Lucia und ich am Abend gar nicht mehr mitbekommen haben. Ich erkläre den Jungs, dass ich über ihre Streiche nicht lachen kann und in Ruhe schlafen will. Sie haben ihren Spaß gehabt und nun ist gut. Wir sind müde und müssen morgen lange laufen. Der älteste der drei entschuldigt sich für ihr Verhalten und sie sehen in ihrem besoffenen Zustand ein, dass ich nicht lachen kann. Der Alkohol scheint jedoch Wirkung auf ihr Kurzzeitgedächtnis zu haben, denn kaum bin ich wieder am Zelt, planen sie den nächsten Angriff von der angrenzenden Mauer aus. Es reicht, wir haben keine Lust, uns die ganze Nacht mit diesen Halbaffen um die Ohren zu schlagen. Deshalb beschließen wir, unser Zeug zu packen und loszulaufen. Es ist zwischen drei und vier Uhr Nachts und der Mond ist relativ hell. Wir packen unser Hab und Gut. Unsere spanischen Zeltnachbarn, die wohl ebenfalls in ihrem Schlaf gestört worden, kommen auch aus ihrem Zelt gekrochen und schließen sich uns an. Trotz des ziemlich hellen Mondes ist es immer noch stockdunkel, wodurch es uns schwer fällt, den richtigen Weg zu finden. Pfeile lassen sich bei der Dunkelheit nicht erkennen, so kommen wir erst einmal nur im Schneckentempo vorwärts.
Im nächsten Dorf setzen wir uns auf eine Parkbank an einer Wasserquelle und frühstücken mit dem, was wir haben. Unsere beiden Hunde sind hingegen bereits hell wach und toben durch die Gegend. Buju traut sich jedoch um einiges weiter weg als Maja und so läuft Maja ihm immer nur wenige Meter hinterher, um uns beide ja nicht aus den Augen zu verlieren. Zu Beginn dachte ich, wir kommen wegen der Dunkelheit langsam voran, als es jedoch zu dämmern beginnt, merke ich, dass Lucia einfach nur ein sehr gemächliches Tempo an den Tag legt. Sie zeigt mir ihren Pilgerpass und erzählt mir, dass sie bereits 2 Monate auf dem Camino unterwegs ist und genau wie ich in Saint-Jean-Pied-de-Port gestartet sei. Allerdings hat sie hier und da mal als Hospitalera ausgeholfen und ist so auch mal eine Woche an einem Ort geblieben. Außerdem erfahre ich nun, dass sie am Tag meistens nur so 5 bis 10 km läuft. Passt ja eigentlich ganz gut, so kann ich mal einen Gang runter schalten und muss mir auch keine Sorgen mehr um Maja machen.
Die Sonne steht nun am Himmel. Unser Weg führt durch riesige Kirschbaumfelder mit wunderschönen, knallroten Kirschen. Ich muss natürlich sofort an meine Begegnung mit dem Kirschbaum und den ungenießbaren Kirschen vor einigen Wochen denken. Wir probieren vorsichtig und siehe da, die Kirschen schmecken abgöttisch gut. Lucia freut sich wie ein kleines Kind, das man in einen Bonbonladen stellt und auffordert, alles einmal zu probieren. Sie kann sich gar nicht mehr beruhigen und strahlt übers ganze Gesicht. Wir brechen uns noch einen kleinen Zweig für den Weg ab und laufen weiter. Auf dem Weg passieren wir ein kleines, namenloses Dorf, es geht über einen Bach und über mehrere Gebirgsrücken. Wir haben wieder sehr schöne und tiefgründige Gespräche, in erster Linie über uns und unser Leben. Sind uns dabei in allen Dingen einig und haben das Gefühl, noch nie zuvor auf einen Menschen gestoßen zu sein, der so sehr unsere Sprache spricht. Ein sehr
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